Patentschlacht

AbbVie und Amgen wehren sich gegen generische Konkurrenz

New York - 19.07.2016, 09:20 Uhr

In den USA kämpfen Generika-Hersteller gegen Patente. In Deutschland ist das erste Biosimilar des TNF-α-Inhibitors Etanercept (Enbrell) bereits eingeführt worden. (Foto: iculig / Fotolia.com)

In den USA kämpfen Generika-Hersteller gegen Patente. In Deutschland ist das erste Biosimilar des TNF-α-Inhibitors Etanercept (Enbrell) bereits eingeführt worden. (Foto: iculig / Fotolia.com)


Mittels neuer Patente versuchen Pharmaunternehmen gern, die Marktexklusivität ihrer Arzneimittel zu verlängern und sich Konkurrenz, vor allem durch Generika, vom Leib zu halten. Diesen Weg beschreiten in den USA aktuell AbbVie und Amgen, die Hersteller der Rheumamittel Humira und Enbrel. Das Pikante dabei: Die Produkte sind extrem teuer und damit für die Hersteller äußerst lukrativ. 

Die beiden US-Unternehmen AbbVie und Amgen versuchen, durch neue beziehungsweise zusätzliche Patente die Marktexklusivität ihrer jeweiligen Top-Seller Humira und Enbrel zu verlängern und sich so generischer Konkurrenz zu erwehren.

Aus ihrer Sicht haben die Konzerne gute Gründe für ihr Vorgehen: Die beiden Biotech-Arzneimittel, die gegen rheumatische Arthritis, Psoriasis und andere Autoimmunkrankheiten eingesetzt werden, sind für die Pharmahersteller ausgesprochen lukrativ: Eine Behandlung kostet im Jahr bis zu 50.000 Dollar. Nach Angaben der Webseite PharmaCompass steht Humira mit rund 14 Milliarden Dollar an der Spitze der weltweit umsatzstärksten Arzneimittel, Enbrel bringt es demnach als Nummer drei auf 8,7 Milliarden Dollar pro Jahr.

Für die Kostenträger und Patienten hingegen könnte dieses Vorgehen schmerzlich sein. Denn mit den zusätzlichen Patenten könnte der Markteintritt von preiswerteren Biosimilars erschwert beziehungsweise verzögert werden, schreibt die New York Times.

70 Patente sichern Humira vor Konkurrenz durch Generika 

Dem Bericht nach empfahl ein Beratungsgremium der US-Arzneimittelbehörde FDA kürzlich zwar grundsätzlich die Zulassung von generischen Versionen zu Humira und Enbrel. Deren Markteinführung steht durch das Vorgehen der Originalhersteller aktuell aber in den Sternen. So hat sich AbbVie vor allem in den vergangenen drei Jahren mehr als 70 zusätzliche Patente für Humira gesichert. Diese betreffen unter anderem die Formulierung, Produktionsmethoden und die Anwendung bei bestimmten Krankheiten. Nach Unternehmensangaben soll damit AbbVie´s Kronjuwel bis mindestens 2022 geschützt werden. Humira stand im vergangenen Jahr für 61 Prozent des Konzernumsatzes in Höhe von 22,8 Milliarden Dollar. „Jedes Unternehmen, das vorhat, ein Biosimilar zu Humira auf den Markt zu bringen, wird sich mit diesem umfangreichen Patentwerk auseinandersetzen müssen, welches wir konsequent verteidigen,“ sagte vergangenen Oktober Richard A. Gonzalez, Vorstandschef des Unternehmens. 

USA hinken bei Biosimilars hinterher

Das Patent von Enbrel ist zwar bereits ausgelaufen. Amgen schützt sein Produkt derzeit allerdings mit zwei sogenannten „U-Boot-Patenten“. Diese heißen so, weil sie einen langen Weg durch die Patentbehörden genommen haben, ohne wirklich zur Kenntnis genommen worden zu sein. Laut New York Times wurden diese Patente bereits Anfang der Neunzigerjahre eingereicht, aber erst 2011 und 2012 erteilt. Sie haben eine Laufzeit bis 2028 sowie 2029 und könnten somit dazu führen, dass der gesamte Patentschutz für Enbrel letztlich 31 Jahre beträgt – deutlich mehr als die zwölf Jahre Exklusivität, die der Affordable Care Act den Biopharmazeutika zugesteht. Dieses US-Bundesgesetz regelt den Zugang zur Krankenversicherung.

Darüber argumentierten während einer FDA-Expertenanhörung mehrere Patienten- und Ärztegruppen, dass Versicherern ein Wechsel zu Biosimilars nicht erlaubt werden sollte, wenn die Patienten die Originalpräparate gut vertragen würden. Hauptargument: Biosimilars seien nicht absolut identisch zu den Originalen, sondern nur ähnlich. Dem steht entgegen, dass die Biosimilar-Hersteller nachweisen müssen, dass ihre Präparate genauso wirken wie die Originale. 

Der aktuelle Fall zeigt einmal mehr, dass die Einführung von Biosimilars in den USA im Gegensatz zu Europa nach wie vor schleppend verläuft. Sechs Jahre nach Einführung des Affordable Care Act, der auch den Weg für diese neue Arzneimittelklasse ebnete, sind die Fortschritte bislang überschaubar. Aktuell ist in den USA lediglich ein Biosimilar zu Neupogen erhältlich. Im April dieses Jahres erteilte die FDA darüber hinaus zwar grünes Licht zur Zulassung eines Biosimilars von Johnson & Johnson’s Autoimmun-Mittel Remicade. Dieses ist bislang aber noch nicht auf dem Markt, unter anderem wegen Patentfragen.

„Die FDA hinkt beim Aufbau einer Infrastruktur für diese Präparate hinterher“, sagte Bertrand C. Liang, Vorsitzender eines Biosimilars-Gremiums der Generic Pharmaceutical Association. „Damit vergeben wir eine Möglichkeit, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken“, fügte Fiona M. Scott Morton hinzu, Professorin an der Yale School of Management.

Nach einer Erhebung von Sanford C. Bernstein & Company befinden sich derzeit in den USA und Europa rund 60 Biosimilars in klinischen Studien. Davon sollen allein 13 Nachfolgepräparate von Humira sein.

Biosimilar: Verzögert bei Humira und Enbrel?

Im vergangenen Jahr waren sieben der zehn umsatzstärksten Arzneimittel Biologika. Da deren Patente zunehmend auslaufen, drängen deren Nachfolger, die Biosimilars, auf den Markt. Die sind in der Regel 20 bis 30 Prozent preiswerter als die entsprechenden Originalpräparate. Neben reinen Biosimilarfirmen haben mittlerweile auch mehrere etablierte Pharmakonzerne dieses Geschäftsfeld für sich entdeckt und entwickeln eigene biopharmazeutische Nachfolgeprodukte. So arbeitet Amgen, der Originalhersteller von Enbrel, gleichzeitig an einer Biosimilarversion zu Humira.

Aktuell ist aber noch unklar, ob die zusätzlichen Patente zu Humira und Enbrel im konkreten Fall die Einführung von Biosimilars wirklich verzögern können. Die Biosimilarunternehmen könnten die neuen Patente nämlich möglicherweise umgehen oder deren Rechtmäßigkeit vor Gericht anfechten – auch dies eine gängige Praxis in der Pharmabranche. „Biosimilarunternehmen stellen fest, dass die zusätzlichen Patente verwundbar sind“, so Oona Johnstone, ein Patentanwalt der Bostoner Kanzlei Wolf, Greenfield & Sacks. 



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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