Kritik am geplanten Pharma-Gesetz

50-Millionen-Euro-Schwelle reicht der AOK nicht

Berlin - 13.07.2016, 16:15 Uhr

Nur eine B-Lösung: Der AOK-Bundesverband will, dass die Erstattungsbeträge rückwirkend ab Tag 1 nach Zulassung gelten. Wenn es eine Umsatzschwelle gibt, müsse diese bei höchstens 50 Millionen Euro liegen. (Foto: Sket)

Nur eine B-Lösung: Der AOK-Bundesverband will, dass die Erstattungsbeträge rückwirkend ab Tag 1 nach Zulassung gelten. Wenn es eine Umsatzschwelle gibt, müsse diese bei höchstens 50 Millionen Euro liegen. (Foto: Sket)


Das Bundesgesundheitsministerium hat erste Pläne für eine Arzneimittelreform vorgelegt. Während sich der GKV-Spitzenverband noch nicht dazu äußern will, läuft sich der AOK-Bundesverband bereits warm. Die bekannt gewordenen Pläne seien ein einziges Pharmawunschkonzert. Zur Anpassung des Apothekenhonorars wollen die Kassenverbände nichts sagen.

In der vergangenen Woche hatte DAZ.online über die ersten Gesetzespläne des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) nach dem Pharmadialog berichtet. Für die Apotheker dürfte insbesondere die Erhöhung der Rezepturvergütung sowie der Pauschalen für die BtM-Abgabe interessant sein. Das Eckpunktepapier enthält aber auch verschiedene Maßnahmen zur Arzneimittelpreisbildung.

Den Kassen dürften einige Vorhaben des BMG teuer zu stehen kommen. Geplant ist beispielsweise, dass Hersteller und der GKV-Spitzenverband in den Preisverhandlungen für neue Arzneimittel „mehr Flexibilität“ erhalten, wenn das jeweilige Medikament keinen Zusatznutzen hat. Bislang gilt eine klare Regel: Wenn das zu prüfende Medikament keinen Mehrwert im Vergleich zur Vergleichstherapie hat, kommt es in eine Festbetragsgruppe. Nur wenn es keine vergleichbare Festbetragsgruppe gibt, darf der Hersteller mit dem GKV-Spitzenverband einen Preis aushandeln.

Der AOK-Bundesverband sieht dieses Vorhaben „sehr kritisch“, weil die Aufweichung der AMNOG-Systematik drohe, nach der höhere Preise nur bei Medikamenten mit einem höheren Zusatznutzen gerechtfertigt seien. „Diese überzeugende Logik dürfen wir jetzt nicht opfern“, sagt Martin Litsch, Chef des AOK-Bundesverbandes. Der Kassenverband weist zudem darauf hin, dass das BMG einige weitere Standards bei der Nutzenbewertung zurückfahren wolle.

Kassen verlieren Streit um die Vertraulichkeit

Schon während des Schaffungsprozesses der frühen Nutzenbewertung vor fünf Jahren hatten Kassen und Hersteller sich heftig um einen Punkt gestritten: die Vertraulichkeit der ausgehandelten Erstattungsbeträge. Die Pharmaunternehmen wollen vermeiden, dass die niedrigeren Erstattungsbeträge nach außen gelangen, weil sie sich als Referenzpreis negativ auf andere Länder auswirken könnten. Im Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) konnten die Kassen die Vertraulichkeit noch verhindern, jetzt soll sie laut BMG mit dem Pharma-Gesetz kommen.

Der AOK-Bundesverband läuft Sturm dagegen: „Diese Intransparenz schadet nicht nur der gesellschaftlichen Diskussion über angemessene Arzneimittelpreise, es ist auch das komplett falsche Signal an die Ärzte, denn diese haben dann keine Möglichkeit mehr, kostenbewusst zu verordnen“, erklärte Litsch. Fest steht: Auch nach den BMG-Eckpunkten ist allerdings noch völlig offen, wie die Vertraulichkeits-Regel in der Abrechnungs-Realität funktionieren soll: Das BMG schreibt lediglich, dass nur noch diejenigen Stellen die Informationen erhalten sollen, die damit gesetzliche Aufgaben erfüllen müssen.

Übersieht die AOK das Preismoratorium?

Ähnlich vage bleibt das BMG bei einem weiteren wichtigen Punkt des geplanten Pharma-Gesetzes. Im Pharmadialog hatte die Bundesregierung mit den Herstellern vereinbart, dass es künftig eine Umsatzschwelle geben solle, ab der der ausgehandelte Erstattungsbetrag schon vorzeitig greifen soll. Das Ziel dieser Regelung ist es, die Ausgaben für besonders teure Arzneimittel im ersten Jahr im Zaum zu halten. Die Höhe dieses Schwellenwertes ist jedoch immer noch unklar – auch nach den Eckpunkten.

Der AOK-Bundesverband fordert daher einen „konkreten Euro-Schwellenwert“, der bei höchstens 50 Millionen Euro liegen darf. Auch das ist für den Kassenverband aber nur eine B-Lösung. Denn aus Sicht der AOK sei es nach wie vor „ungleich wirksamer“, wenn der zwischen Kassen und Herstellern vereinbarte Erstattungsbetrag rückwirkend ab dem ersten Tag nach der Zulassung gelte. Schlussfolgernd kommt der Verband daher zu dem Fazit: „Bisher spiegeln die Vorschläge die Vorschläge einseitig die Interessen der Arzneimittelhersteller und Ergebnisse aus dem Pharmadialog wider. Reformvorstellungen der bisher nicht einbezogenen Krankenkassen wurden nicht berücksichtigt.“

Doch liegt der Kassenverband damit richtig? Überraschenderweise hat das BMG im Eckpunktepapier nämlich eine Forderung untergebracht, die gerade den Krankenkassen gefallen müsste. Das Ministerium will das Preismoratorium für alle verschreibungspflichtigen Medikamente vorzeitig um ganze fünf Jahre verlängern. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hatte gestern mit einer Pressemitteilung auf dieses Vorhaben reagiert und sich darüber beschwert, dass eine weitere Legislaturperiode „Planwirtschaft“ drohe.

Kassen schweigen zu Apothekenhonorar

Zur Anpassung der Apothekervergütung in den Bereichen Rezepturen und BtM-Abgabe wollten sich übrigens sowohl der AOK-Bundesverband als auch der GKV-Spitzenverband noch nicht äußern. Ein Sprecher des Spitzenverbandes sagte, der Verband müsse sich die Pläne noch genauer anschauen, es handele sich außerdem bislang nur um Eckpunkte. Wann das BMG einen ersten konkreteren Referentenentwurf vorlegen will, steht noch in den Sternen. Ursprünglich hatte das Ministerium den Entwurf für diesen Sommer angekündigt.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Kassen schweigen.....!

von Heiko Barz am 14.07.2016 um 11:17 Uhr

So schnell zerplatzen die schillernden Seifenblasen der Hoffnung auf eine angemessene Ausgleichszahlung für BTM, Rezeptur und Nachtdienstvergütung etc.
Um die Apothekerschaft zu einem bestimmten Wahlverhalten zu locken, werden alle Versprechungen zeitlich hinausgezogen, und diese nach der Wahl schnellstens mit den üblichen Sprüchen im Orcus versenkt.
Was eigentlich als simpelste Forderung noch vor der anstehenden Honorarfrage längst hätte geregelt sein müssen, wie oben angeführt, ist jetzt schon Utopie bei der Lesart des letzten Absatzes des Artikels : "Kassen schweigen zum Apothekenhonorar".

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