DAZ.Spezial - Eine kurze Karriere

Über Coca in der westlichen Medizin

Linz - 04.06.2016, 06:00 Uhr

Cocablätter (Foto: RioPatuca Images / Fotolia) Fotostrecke

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„Glänzende Resultate“

Selbst sportliche Höchstleistungen ließen sich mit Hilfe von Coca vollbringen,76 denn es seien auch „aus Kreisen von Sportmen, namentlich Hochtouristen und Jägern […] glänzende Resultate zu verzeichnen, während für die Gesundheit keinerlei Nachtheil zu befürchten ist“.77 Berühmtheit erlangte der französische Fahrradpionier Albert Laumaillé (1848–1901), der im Winter 1875 die Strecke von Paris nach Wien in 12 Tagen und vier Stunden zurücklegte. Mit sich führte er „a small supply of the liqueur de coca, an Indian tonic, by which he was always able to assuage the sudden and painful hunger which sometimes accompanies continued exertion“.78 An diesen Erfolg wollten auch die Erzeuger von „Liebig´s Coca Beef Tonic“ mit ihren Inseraten anknüpfen.79 Das Präparat aus „carefully selected choice beef“ und „elixir of coca“ in einem „choise first class quality of sherry wine“80 sei von der Ärzteschaft in allen zivilisierten Ländern als „the standard tonic“ anerkannt. Vor billigen, wertlosen Nachahmungen möge man sich aber in Acht nehmen.81 Der schottische Toxikologe Sir Robert Christison (1797–1882) erprobte die leistungssteigernde Wirkung der Coca an seinen Studenten und an sich selbst. Durch Coca gestärkt erklomm er im reifen Alter von 78 Jahren gleich zweimal den schottischen „Dreitausender“ Ben Vorlich (3.232 ft oder 943 m).82

Seit jeher wurde der Coca nachgesagt, auch ein hochwirksames Aphrodisiakum zu sein. Dies steht offenbar damit in Zusammenhang, dass in indigenen Kulturen den Knaben im Rahmen eines Initiationsritus ein Beutel mit Cocablättern und ein mit Pflanzenasche oder Muschelkalk gefülltes Gefäß (poporo) übergeben wurden. Bei den kolumbianischen Kogi erhält noch heute der Sohn den poporo von seiner Mutter und tritt damit in die Männerwelt über.83 Weiterhin spielte Coca als Opfergabe für die Pachamama, die Hauptgöttin der Erde und der Fruchtbarkeit eine große Rolle. Die Herstellung von sexuell sehr freizügigen Keramiken in der Moche-Kultur (ca. 100–800 n. Chr.) wird gelegentlich mit dem Gebrauch von Coca assoziiert.84 Die der Coca zugesprochene „nährende“,85 die stimmungsaufhellende und die leistungssteigernde Wirkung werden dazu beigetragen haben, ihren Ruf als Aphrodisiakum zu festigen.

Paolo Mantegazza berichtet von genitalen Schwächezuständen, die durch das Kauen von Coca gebessert wurden. Auch habe er davon gehört, dass die Coca in bestimmten Dosen sexuelle Begierden erwecke.86 Siegmund Freud (1856–1938) verabreichte Coca an mehrere Patienten, von denen drei „von heftiger sexueller Erregung, die sie unbedenklich auf die Coca bezogen“ berichteten. Ein junger Schriftsteller, den er wegen „längerer Verstimmung“ behandelte, „verzichtete auf den Cocagebrauch wegen dieser ihm unerwünschten Nebenwirkung“.87

Damit war einer Geschäftsidee der Weg gebahnt, die nur beispielhaft anhand einiger Präparate dargestellt werden soll. Apotheker Strauss aus Mainz vermarktete 1874 seine Coca-Pillen, denen „auch zahlreiche ärztliche Autoritäten die kräftige Wirkung auf das durch Samenverluste, Onanie etc. geschwächte Geschlechts-Nervensystem bestätigt“ hätten.88 Auch die „Dr. José Alvarez´schen“ Coca-Präparate, auf die später noch einmal einzugehen ist, wurden als Mittel gegen „Schwächezustände […] durch frühere geschlechtliche Ausschweifungen“ beworben.89 Durch sie könne man die Auswirkungen von „schnellem Leben, jugendlichen Sünden etc.“ sogar in Fällen, in denen andere Mittel versagt hätten, zuverlässig beheben.90 Eine weitere Variante war „Celerina - The nerve tonic“. Diese angenehme, aromatisch riechende Flüssigkeit mit Sellerie, Coca und Viburnum91 sei „of the utmost value in Nervous exhaustion, Sexual Debility, Paralysis, Dysmenorrhea, Spermatorrhea“.92 Auch Parke, Davis & Co., deren früher kommerzieller Erfolg maßgeblich auf Cocain-enthaltende Präparate zurückzuführen war,93 stellten sich mit „Aphrodisiac Pills Comp.“ ein.94 Diese enthielten neben den Extrakten von Coca und Brechnuss die damals gängigen Tonika Cinchonidinsulfat, Eisenbromid und Phosphor. Die „Tonic Aphrodisiac Tablets“ von Wayne95 enthielten neben Coca, Brechnuss und Phosphor auch Extrakte von Damiana und Sägepalme.96 Noch um 1920 waren in den USA zahlreiche Coca-Präparate mit explizit oder implizit aphrodisierender Indikation im Handel.97 Aus heutiger Sicht haben Coca und Cocain keine direkte Wirkung auf die Genitalorgane, können aber wie andere Stimulantien auch sexuelle Effekte auslösen.98 Chronischer Missbrauch von Cocain führt allerdings zu verzögerter Ejakulation und sexueller Dysfunktion.99

Neue Freie Presse vom 14. Oktober 1877, S. 13

Coca gegen Nervenstörungen und Schwächezustände



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