DAZ.Spezial - Eine kurze Karriere

Über Coca in der westlichen Medizin

Linz - 04.06.2016, 06:00 Uhr

Cocablätter (Foto: RioPatuca Images / Fotolia) Fotostrecke

Cocablätter (Foto: RioPatuca Images / Fotolia)


„Nur noch für Specialitäten­krämer heilkräftig”

Die Entdeckung des Cocains erhöhte zunächst auch die „wissenschaftliche Validität“ der Coca, deren Ansehen aufgrund enttäuschend verlaufener Versuche bereits arg beschädigt war.40 Schließlich hatte man nun eine stoffliche Basis analog zu anderen, für wirksam befundenen Alkaloiden wie Morphin, Strychnin, Atropin etc. gefunden, mit der die berichteten wunderbaren Effekte nachvollziehbar und erklärbar werden sollten.41 Aber die Kritik riss nicht ab,42 wie auch die 1863 erschienenen Ausführungen des Fürther Spitalarztes Georg Tobias Christoph Fronmüller (1809–1889) zeigen, der eingangs umfassend den wenig befriedigenden Stand des Wissens referiert. Dann berichtet er über seine Versuche mit einem weinigen Coca-Infusum und mit dem von E. Merck kostenlos übersandten Cocain, welche er unter anderem an Zwangsarbeiter, Spitalpatienten und an seinen eigenen Sohn, der gleichfalls Arzt war, verabreichte. Nicht einmal mit dem Cocain ließ sich eine „besonders hervorstehende Wirkung […] nach keiner Richtung hin“ erzielen und “so können wir unmöglich die Aufnahme der Coca in unseren europäischen Arzneischatz beantragen“.43

Ein Professor Molin meinte 1866, „daß die kühnen Hoffnungen, denen man sich über die Anwendung dieser Pflanze hingab, ziemlich zu Wasser geworden sind“.44 Hermann Hager (1816–1897) erklärte 1876 – angesichts des bevorstehenden Booms an Coca-Präparaten vielleicht etwas vorschnell – die Coca für obsolet.45 Im selben Jahr fällte auch der britische Physiologe Dowdeswell aufgrund eigener Versuche ein vernichtendes Urteil über die Coca, deren Wirkungen allenfalls jenen von Tee, von gewässerter Milch oder von reinem Wasser gleichkämen.46 Auch der amerikanische Arzt und Pharma­unternehmer Edward Robinson Squibb (1819–1900) hielt mehr von den akribischen Untersuchungen eines Dowdeswell als von den auf „florid stories of travellers“ basierenden Erwartungen. Im Übrigen sei es nahezu unmöglich, Coca in adäquater Qualität zu bekommen, so dass die daraus hergestellten Präparate durchwegs minderwertig seien. Daher wurde bei den Squibb Laboratories 1885 beschlossen, dieses Geschäftsfeld zu verlassen und stattdessen auf Präparate aus Tee-Extrakten zu setzen.47 Während auf der Weltausstellung 1873 in Wien sechs Aussteller überwiegend italienischer Provenienz Coca-haltige Präparate anboten,48 hatten kritischere Zeitgenossen mit dieser Art von Stärkungsmittel schon längst abgeschlossen.49 Ärzte und Apotheker, die Coca verordneten oder verarbeiteten, liefen Gefahr, sich der Lächerlichkeit preiszugeben und als Schwindler angesehen zu werden.50 



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