Lösungen gefordert

Flüchtlingszuzug sorgt für Handlungsdruck

Berlin - 09.09.2015, 14:45 Uhr

Eigentlich nicht dafür zuständig – und doch sollen Sicherheitsleute Arzneimittel abgeben. (Screen: NDR/Panorama3)

Eigentlich nicht dafür zuständig – und doch sollen Sicherheitsleute Arzneimittel abgeben. (Screen: NDR/Panorama3)


Der ungebrochene Zuzug von Flüchtlingen setzt nicht nur das deutsche Gesundheitssystem, sondern auch nicht-medizinisches Personal massiv unter Handlungsdruck. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) etwa verweist darauf, dass traumatisierte Flüchtlinge bei Fachärzten für Nervenheilkunde oder Herzerkrankungen kaum Termine bekommen. Das NDR-Politik-Magazin Panorama3 wiederum berichtet von Mitarbeitern eines Wachdienstes in Erstaufnahmeeinrichtungen in Schleswig-Holstein, die sich dagegen wehren, in Zeiten, in denen kein medizinisches Fachpersonal vor Ort ist, die medizinische Verantwortung übernehmen zu müssen.

Schätzungsweise 30 bis 40 Prozent der Ankömmlinge sind traumatisiert, konstatiert DRK-Präsident Rudolf Seiters. Doch für Flüchtlinge seien bei entsprechenden Fachärzten derzeit kaum Termine zu bekommen. Hier gelte es, angemessene Versorgungsstrukturen zu schaffen. Gesundheitsstaatssekretär Lutz Stroppe wies darauf hin, dass Bund und Länder zur Zeit darüber verhandelten, wie Ärzte und Pflegepersonal schon jetzt in den Aufnahmeeinrichtungen eingesetzt werden könnten. Einrichtungen, die traumatisierte Flüchtlinge behandeln, sollten notfalls eine vereinfachte Zulassung für die gesetzliche Krankenversicherung bekommen. Auch solle die elektronische Gesundheitskarte endlich bundesweit eingeführt werden.

Überforderung bei nicht-medizinischem Personal

Von einem gravierenden Problem berichtete gestern Abend auch das NDR-Magazin Panorama3: In den Erstaufnahmeeinrichtungen Neumünster und Boostedt sind die Mitarbeiter der Sicherheitsdienste von abends bis morgens sowie am Wochenende alleinige Ansprechpartner bei gesundheitlichen Fragen und Problemen der Bewohner. Dann müssen sie eigenverantwortlich darüber entscheiden, ob ein Notarzt gerufen wird oder ob Hilfesuchende per Bus, Taxi oder mit dem Rettungswagen ins nächstgelegene Krankenhaus geschickt werden. Denn medizinisches Fachpersonal ist in der Regel nur werktags zwischen 8 und 16 Uhr vor Ort.

Dem NDR-Magazin zufolge berichten Sicherheitsmitarbeiter übereinstimmend, dass ihnen auch die Ausgabe von Medikamenten an die Bewohner übertragen wurde. Darunter seien in Einzelfällen auch verschreibungspflichtige Präparate wie Herzmedikamente oder Psychopharmaka gewesen. Doch damit fühlen sich viele überfordert. „Man ist unsicher und man hat natürlich Angst, etwas verkehrt zu machen, wenn man falsch reagiert“, berichtet ein Wachmann. Zumal sie aus Kostengründen dazu angehalten werden, nicht zu häufig Krankenwagen anzufordern. Hinzu kommen Verständigungsprobleme: Ein Mitarbeiter berichtet, er habe einem Flüchtling den Beipackzettel für ein Medikament gegen Darmparasiten übersetzen müssen. Weil der aber nicht gut Englisch sprach, habe er ihm quasi vorführen müssen, wie das Medikament anzuwenden sei. „Das ist ein Zustand, der ist einfach nicht tragbar.“

Politisch Verantwortliche weisen Vorwurf zurück

Andrea Dallek vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein fordert im Beitrag nun, die medizinische Versorgung in den Erstaufnahmen rund um die Uhr sicherzustellen. Verantwortlich für die Organisation der medizinischen Betreuung ist das Landesamt für Ausländerangelegenheiten, das dem schleswig-holsteinischen Innenministerium unterstellt ist. Deren Staatssekretärin Manuela Söller-Winkler weist den Vorwurf der Überforderung gegenüber Panorama3 zurück. Die Mitarbeiter des Sicherheitspersonals müssten sich lediglich „kümmern und das Notwendige […] veranlassen“. Die Sicherstellung einer ärztlichen Betreuung rund um die Uhr sei unmöglich. Allerdings bestätigt sie, dass es „nicht das normale Verfahren sein“ könne, dass der Sicherheitsdienst Medikamente austeile.

Zum Panorama3-Beitrag gelangen Sie über diesen Link.


dpa / DAZ.online
redaktion@daz.online


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