Gastkommentar

Apotheker, mein Traumberuf!

Schlitz - 11.08.2015, 17:00 Uhr

Ein ganz normaler Tag in einer deutschen Apotheke. (Foto: Sket)

Ein ganz normaler Tag in einer deutschen Apotheke. (Foto: Sket)


Der 6. August war mal wieder so ein Tag. Sie kennen das: Wenn’s läuft, läuft’s. Eine der ersten Kundinnen morgens möchte von mir Bisoprolol 2,5 ABZ 100 Tabletten, ohne Rezept. Später kommt Retax-Post von der DAK, es gibt Diskussionen mit einem Arzt über das Ausstellen von BTM-Rezepten und der Notdienst hält ebenfalls Überraschungen parat. Gastkommentator Dr. Christian Gerninghaus, Apotheker aus Schlitz, berichtet von einem ganz normalen Tag in der Apotheke.

Am 6. August möchte morgens eine der ersten Kundinnen von mir Bisoprolol 2,5 ABZ 100 Tabletten, ohne Rezept, ihr Arzt ist im Urlaub. Ich verweise sie an den Vertretungsarzt, sie echauffiert sich. Da sitze sie zwei Stunden oder mehr für ein Rezept über die kleine Packung, in diesem Fall 30 Tabletten, für die sie dann auch fünf Euro bezahlen müsse, genau wie für die N3 Packung mit 100 Tabletten. Das sehe sie nicht ein, ich solle mich nicht so anstellen und ihr ihre Tabletten geben. Als ich ihrem Wunsch nicht nachkomme, verlässt sie wutschnaubend die Apotheke.

Um 9:30 Uhr kommt die Post, darin ein Schreiben von der DAK. Es geht um einen Einspruch, den ich gegen eine Taxbeanstandung eingelegt habe. Bei einer Verordnung über Ondansetron Schmelztabletten habe ich nicht die rabattierten Filmtabletten abgegeben, habe den entsprechenden Nichtverfügbarkeitsvermerk aufgedruckt, aber nicht meine pharmazeutischen Bedenken ausformuliert. Obwohl niemand zu Schaden gekommen ist und der Grund für mein Handeln offensichtlicher nicht sein kann, retaxiert die DAK auf null Euro.

Schwierige Kommunikation mit Ärzten

Um 10:30 Uhr erhalte ich einen Anruf einer älteren Kundin, die mir mitteilt, sie habe in einer Facharztpraxis ein Rezept über ein Antibiotikum gegen ihren akuten Harnwegsinfekt angefordert. Sie bittet mich, bei Eintreffen des Fax, um das sie gebeten hat, die Tabletten auszuliefern, da sie starke Schmerzen habe und das Haus nicht verlassen könne. Ich willige ein und warte auf das Fax. Das Fax kommt nicht. Nach wiederholten Telefonaten mit der mittlerweile aufgebrachten Kundin ruft meine Mitarbeiterin in der Arztpraxis an, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Die Sprechstundenhilfe erklärt, die Kundin habe sechs Mal angerufen und sei dem Praxisteam auf die Nerven gegangen. Daher werde man das Rezept nicht faxen, sondern mit der Post schicken. Auf unsere Frage, ob man uns den Inhalt der Verordnung vorab mitteilen könne, erhalten wir zur Antwort: Warten Sie auf die Post.

Mittags: Ein Kunde legt eine BTM-Verordnung vor. 20 Pflaster Fentanyl 150 mg. Damit wird nach BTMVV die Höchstmenge überschritten, allerdings fehlt das entsprechende Kennzeichen auf dem Rezept. Wir ergänzen das „A“ auf den beiden Teilen des BTM-Rezepts, die uns vorliegen, und bitten die verordnende Praxis, diese Ergänzung auch auf ihrem Teil der Verordnung vorzunehmen. Auf die Frage, ob es denn nicht möglich sei, BTM-rechtliche Vorschriften gleich bei Ausstellung des Rezeptes zu beachten, antwortet man uns: „Das machen wir nicht! Wenn mit dem Rezept etwas nicht in Ordnung ist meldet sich immer die Apotheke.“

Abends: Ich habe Notdienst. Um 22:00 Uhr kommt ein Patient mit einer Verordnung über zehn Tabletten Prednisolon 50 mg. Er ist von einer Wespe gestochen worden. Über die Dosierungsanweisung auf dem Rezept staune ich: Der Patient soll heute und am Folgetag je 1,5 Tabletten einnehmen, vier Tabletten insgesamt soll ich ihm aushändigen, der Rest soll in die Bereitschaftsdienstpraxis. Ich traue meinen Augen nicht, ich versuche den Arzt telefonisch zu erreichen. Das sollte seit dem 1. Juli 2015 ja kein Problem mehr sein, da ja durch die AMVV geregelt ist, dass für Rückrufe eine Telefonnummer im Arztstempel zu stehen hat. Dort steht die Nummer der knapp 80 km entfernten Leitstelle. Als ich dort anrufe, sagt man mir, der Dienst der Bereitschaftsdienststelle vor Ort sei seit 22:00 Uhr beendet. Jetzt glaube ich, auch meinen Ohren nicht mehr trauen zu können. Nach langem Hin und Her erhalte ich die Handy-Nummer des Arztes. Er versteht meinen Anruf nicht und hat keinerlei Verständnis für mein Problem. Es gebe doch jetzt so viele Wespen, da sei mit noch mehr Stichen zu rechnen, für die er das Kortikoid gut gebrauchen könne.

Sind wir die Deppen der Nation?

Heute Morgen, der Notdienst ist vorbei, komme ich dazu, über den gestrigen, gar nicht untypischen Tag nachzudenken. Ich frage mich: Sind Apotheker eigentlich die Deppen der Nation? Wo ist unsere Berufsvertretung, die sich für unsere Belange einsetzt? Wann endlich stehen wir auf und formulieren unsere Belange so, dass man sie in der Politik und in der Öffentlichkeit wahrnimmt?

Ich fordere eine Erlaubnis zur Abgabe von verschreibungspflichtigen Dauerarzneimitteln durch die Apotheke für den Fall, dass der Arzt nicht erreichbar ist.

Ich fordere, dass die Kassenwillkür beendet und Nullretax verboten wird. Ich habe nicht die Zeit, jede meiner Überlegungen einem nicht pharmakologisch ausgebildeten Mitarbeiter einer Krankenkassenabrechnungsstelle darzulegen. Wo soll ich da anfangen? Da reicht der Platz auf Formblatt 16 einfach nicht aus. Wieso eigentlich hinterfragt eine Krankenkasse meine Sachverstand?

Ich will nicht länger Formfehler auf Rezepten, die ich nicht zu verantworten habe, heilen oder Gefahr laufen, aufgrund solcher Fehler retaxiert zu werden. Ich fordere eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von mindestens 20 Euro pro Fall, in dem ich Zeit und Kraft investiere, Rezepte ändern oder ergänzen zu lassen.

Ich mache meinen Job nach 22 Jahren immer noch sehr gerne! Aber mehr und mehr werde ich zum Lückenbüßer, zum Spielball. Wir Apotheker haben eine hochqualifizierte Ausbildung durchlaufen, fangen wir endlich an, uns auch so zu verhalten!


Dr. Christian Gerninghaus, Apotheker, Schlitz
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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