Cannabis als Arzneimittel

Missbrauch befürchtet

Berlin - 09.02.2015, 16:52 Uhr


Die Ankündigung von Gesundheitsminister Hermann Gröhe, noch dieses Jahr in die Wege zu leiten, dass Schwerkranke leichteren Zugang zu Medizinalhanf bekommen, stößt auf viel Zuspruch – doch es wird auch gewarnt. „Wir sehen die Gefahr, dass der Gesetzgeber über das Ziel hinausschießt“, meint etwa der Vorstandschef der Deutschen BKK, Achim Kolanoski. Und auch der Hamburger Suchtexperte Rainer Thomasius befürchtet, dass der Vorstoß „dazu führen wird, die riesengroße Zahl der Medikamenten-Abhängigen in Deutschland noch weiter zu vergrößern“.

Nachdem die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CDU), letzte Woche die öffentliche Debatte mit einem Interview in der „Welt“ entzündet hatte, zog Gröhe schnell mit einem Versprechen nach: „Wir wollen, dass schwer kranke Menschen, denen nur durch Medizinalhanf geholfen werden kann, gut versorgt werden.“ Deshalb würden die rechtlichen Bedingungen, unter denen dies erfolgt, zeitnah angepasst. Dazu gehöre die Frage der Kostenerstattung ebenso wie die Frage, wie Missbrauch wirksam verhindert werden kann.

Dennoch sind die Befürchtungen offenbar groß. So mahnt der BKK-Chef im „Handelsblatt“, dass die Neuregelung „auf keinen Fall“ dazu führen dürfe, „dass einer Legalisierung der Droge durch die Hintertür Vorschub geleistet wird“. Es müsse gewährleistet bleiben, „dass nur schwer und lebensbedrohlich Erkrankte legal an den Haschisch-Wirkstoff herankommen.“ Für sie wiederum hält der Kassenchef Cannabis für eine gute Alternative. Insbesondere bei Krebskranken schadeten starke Schmerzmittel oft mehr, als sie nutzten. Cannabis hingegen wirke in Medikamentenform bis zu zwölf Stunden appetitanregend und schmerzlindernd. Daher plädiert Kolanoski letztlich dafür, den gewerblichen Anbau für den medizinischen Bedarf zu erleichtern. „Entscheidend dabei ist, dass die Pflanzen nur gegen Vorlage eines ärztlichen Rezepts und in Apotheken über die Theke gehen.“

Suchtpotenzial von Cannabis

Um einiges skeptischer äußerte sich Rainer Thomasius, ärztlicher Leiter des Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Eppendorf. Er verweist auf die dünne Studienlage bei Cannabis: „Die wissenschaftliche Evidenz ist ausgesprochen schwach.“ Doch aus den wenigen Studien gehe hervor, dass die Nebenwirkungen größer seien als bei den eingeführten Schmerzmitteln. Er nannte als Beispiele Sedierung und Blutdruckabfall. Als Psychiater schrecke ihn aber vor allem das Suchtpotenzial auf.

Cannabis vergleicht er mit Tranquilizern, von denen man schnell abhängig werde. Abhängige müssten die Dosis immer weiter steigern, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Die Entzugssymptome seien ähnlich wie bei Opiaten. Bei einer dauerhaften Hochdosierung komme es zu einer Schädigung tiefliegender Hirnstrukturen und Gedächtnisstörungen. Dass Cannabis in anderen Ländern wie den USA oder Frankreich als Medikament eingesetzt werden darf, erklärt Thomasius mit der Lobbyarbeit von Pharmaunternehmen, die diese Mittel herstellten. „Da geht es um Gewinne.“

Der Mediziner fürchtet vor allem eines: Dass mit der Finanzierung durch die Krankenkassen ein „völlig unkontrolliertes Verordnungswesen bei den Ärzten beginnt“. Zugleich betont er: Gegen eine Ausnahmeregelung für Tumorpatienten im Finalstadium habe er nichts. „Aber es droht auf der anderen Seite eine massenhafte Verbreitung, und das müssen wir auf jeden Fall verhindern.“


Kirsten Sucker-Sket


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