Arzneimittel-Atlas 2014

Ausgebremste Innovationen

Berlin - 17.09.2014, 13:40 Uhr


Die Arzneimittelausgaben in Deutschland steigen – im letzten Jahr moderat um 3,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dieses Jahr wird das Plus wegen der gesunkenen Herstellerrabatte höher ausfallen. Trotzdem: Die Arzneimittelversorgung ist nach wie vor nicht optimal. Innovationen kommen nur bedingt bei den Patienten an, die Impfquoten lassen ebenfalls zu wünschen übrig. Zu diesem Fazit kommt der aktuelle Arzneimittel-Atlas, den das Berliner IGES-Institut nun im neunten Jahr für den Verband forschender Pharma-Unternehmen erstellt hat.

Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Arzneimittel stiegen 2013 um 896 Millionen Euro auf 30,09 Milliarden Euro. Dabei entfiel ein Drittel des Zuwachses auf die erhöhte Apothekenvergütung, erklärte Prof. Bertram Häussler, Leiter des IGES Instituts und Mitautor des Arzneimittel-Atlas. Der Ausgabenbereich liegt damit auf dem Niveau des Jahres 2009. Zahlen zu den Kosten von Arzneimitteln wird in der kommenden Woche auch der neue Arzneiverordnungsreport bieten. Das jedes Jahr im Frühherbst erscheinende Werk wird aber vor allem auf die Einsparpotenziale abheben, die die Autoren stets aufs Neue ausmachen. Der Arzneimittel-Atlas versteht sich als Gegenpol und setzt andere Schwerpunkte. Die Autoren schauen sich die Umsatzveränderungen in einzelnen Indikationsgruppen sowie regionale Entwicklungen an. Zudem ziehen sie ein vorläufiges Fazit zur frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel.

Diesmal haben die Atlas-Autoren einen besonderen Blick auf die Prävention durch Impfungen geworfen – speziell auf die HPV- und die Masern-Impfung. Die HPV-Impfung für weibliche Jugendliche wird seit 2007 von der Ständigen Impfkommission empfohlen. Allerdings wurde nur im Jahr 2008 eine Zahl von Impfungen erreicht, mit der über kurz oder lang die erstrebte Durchimpfung erreicht werden kann. Doch dann kam Kritik an der HPV-Impfung auf, die Menschen wurden skeptisch, die Impfraten gingen in den Keller. Wurden 2008 noch 490.000 Mädchen geimpft, waren es 2009 nur noch 203.000, im Jahr 2010 sogar nur 130.000. Seitdem geht die Zahl wieder langsam noch oben. 2013 lag die Durchimpfungsrate laut Arzneimittel-Atlas bei 41 Prozent. Wie Häussler betonte, eine im internationalen Vergleich bescheidene Quote. In den USA und Frankreich ist sie zwar noch niedriger. Doch Schottland (90%), England (76%), Australien (73%) und die Niederlande (65%) liegen weit vor Deutschland. Auch bei den Masern – die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgerottet wissen will – sind die Impfraten noch nicht optimal. Zwar erhalten 97 Prozent der Babys die erste Impfung. Die zweite allerdings nur noch 92 Prozent. Und um das WHO-Ziel zu erreichen, müssten es jeweils mindestens 95 Prozent sein.

vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer sieht derzeit durchaus den finanziellen Spielraum, solche Versorgungslücken zu schließen. Die politisch gewollte Kostenfixierung der letzten Jahre habe bei den Arzneimittelpreisen und -ausgaben ihr Ziel erreicht, betonte sie gestern bei der Vorstellung des Arzneimittel-Atlas. Nun müsse die Politik darauf achten, dass die Kostenfixierung nicht zu einer Mentalität werde mit der Gefahr, dass das Engagement für hohe Impfquoten gebremst wird.

Fischer beklagt überdies, dass der Kostendruck es Innovationen erschwere, sich im Markt zu etablieren. Obwohl viele Präparate, die das AMNOG-Verfahren durchlaufen und einen Zusatznutzen attestiert bekommen haben, einen Preis unterhalb des europäischen Durchschnittspreises haben, machen die neuen Wirkstoffe vielfach nur einen geringen Verordnungsanteil in ihren Indikationen aus.

„In manchen Fällen liegt die AMNOG-gerechte Versorgungsquote mit Innovationen unter 10 Prozent“ so Fischer. Für sie ist es offensichtlich: „Das Pendel schlägt einseitig zugunsten von Einsparungen aus und hinterlässt Versorgungsdefizite“. Ein Grund hierfür sei, dass Ärzte noch immer Regresse fürchten. Erst bei bislang drei neuen Arzneimitteln seien in den Erstattungsbetrag-Verhandlungen Praxisbesonderheiten vereinbart worden, die Ärzte vor finanziellen Rückriffen schützen. Dabei, so Fischer, sei der Erstattungsbetrag stets wirtschaftlich. Auch wenn das konkrete Präparat nur für eine Subgruppe einen Zusatznutzen habe – es werde ein Mischpreis gebildet, der die Wirtschaftlichkeit sicherstelle. Dies sollte aus Sicht der vfa-Chefin auch gesetzlich klargestellt werden.


Kirsten Sucker-Sket


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