Gerichtsentscheidung

Cannabis-Eigenanbau statt Dronabinol

Berlin - 09.07.2014, 16:18 Uhr


Der Eigenanbau von Cannabis zu Therapiezwecken beschäftigt deutsche Gerichte immer häufiger. Mitte Juni entschied das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen zugunsten eines schwer an Multipler Sklerose (MS) Erkrankten, dass ihm ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis zu erteilen sei, weil ihm kein gleich wirksames, zugelassenes und erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung stehe.

Der 1963 geborene Kläger ist seit 1985 schwer an MS erkrankt. Seit etwa 1987 behandelt er die Symptome selbständig durch die regelmäßige Zufuhr von Cannabis. Das BfArM lehnte im Jahr 2007 seinen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für den Eigenanbau von Cannabis ab. Dagegen wehrte er sich vor Gericht. Und sowohl das Verwaltungsgericht wie auch das Oberverwaltungsgericht gaben ihm recht und verpflichteten das BfArM, unter Beachtung der gerichtlichen Rechtsauffassung erneut über den Antrag des Klägers zu entscheiden.

Nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz kann das BfArM eine Erlaubnis für die in Anlage I Bezeichneten Betäu­bungsmittel ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Nach Auffassung der Richter ist vorliegend ein öffentliches Interesse zu bejahen: Auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Pa­tienten mit Cannabis könne im öffentlichen Interesse liegen, führen sie im Urteil aus, wenn hierdurch die Heilung oder Lin­derung der Erkrankung möglich sei.

Dem steht nach Meinung der Richter auch nicht entgegen, dass die therapeu­tische Wirksamkeit von Cannabis bei MS bisher nicht allgemein wissenschaftlich nachgewiesen ist. „Denn bei der vorliegenden schweren Er­kran­kung des Klägers stellt schon die Verbesserung der subjektiven Befindlich­keit eine Linderung dar, die im öffentlichen Interesse liegt.“ Bei schweren Er­krankun­gen ohne Aussicht auf Heilung gebiete es die vom Grundgesetz geforderte Achtung vor der körperlichen Unver­sehrtheit, die Möglichkeit einer Erlaubnis nur dann auszu­schließen, wenn ein therapeutischer Nutzen keinesfalls eintreten könne. Das sei vorliegend aber nicht der Fall.

Dem Kläger stehe gegenwärtig zudem kein gleich wirksames, zugelassenes und für ihn erschwingliches Arzneimittel zur Ver­fügung. Sativex (Almirall) habe bei ihm zu einer Ver­schlechterung seines Gesundheitszu­standes geführt, Dronabinol – dessen Kosten seine Krankenkasse übernehmen würde – wirke bei ihm wiederum nicht genauso wie Cannabis. Medizinalhanf der Sorte Bedrocan, mit dem der Kläger nach eigenen Angaben gut zurechtkommt, stehe ihm zum einen aus Kostengründen nicht zur Verfügung, zum anderen lehne das BfArM den Erwerb aus der Apotheke ab. Insoweit stehen nach Meinung der Richter der Erlaubniserteilung für den Eigenanbau keine zwingenden Versagungsgründe entgegen.

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11. Juni 2014, Az. 13 A 414/11


Juliane Ziegler


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