Aufarbeitung

DDR-Arzneitests: Roche öffnet Firmenarchiv

Berlin - 19.02.2014, 15:51 Uhr


Das Pharmaunternehmen Roche ermöglicht durch einen Bericht, der sich mit der Aufarbeitung klinischer Prüfungen in der DDR zwischen 1980 und 1990 beschäftigt, einen Blick in sein Firmenarchiv. Danach wurden 46 klinische Arzneitests an 38 DDR-Einrichtungen durchgeführt. Drei der 51 Todesfälle wurden als möglicherweise mit dem zu prüfenden Arzneimittel im Zusammenhang stehend beschrieben.

Im vergangenen Jahr schlug ein Spiegel-Bericht große Wellen: Westliche Pharmakonzerne sollen in ostdeutschen Kliniken hunderte Arzneimittelstudien an über 50.000 Patienten in Auftrag gegeben haben – oft ohne Wissen der Probanden. Die in dem Artikel genannten Pharmaunternehmen, darunter Bayer, Schering, Hoechst, Boehringer, Pfizer, Sandoz und Roche, erklärten daraufhin, sie gingen davon aus, dass – sofern klinische Studien in der ehemaligen DDR durchgeführt wurden – geltende rechtliche oder anzuwendende internationale Standards eingehalten wurden. Einer wissenschaftlichen Aufklärung stehe man positiv gegenüber.

Roche machte sich daraufhin selbst an Werk. In einer sechsmonatigen Aufarbeitung wurde in den eigenen Archiven in Basel, Mannheim und Palo Alto (USA) recherchiert, berichtet das Unternehmen. Außerdem wurden Zeitzeugen befragt. Das Ergebnis: An 46  international durchgeführten klinischen Prüfungen der Firmen Boehringer Mannheim GmbH, Syntex Corporation – beide später von Roche übernommen – und der F. Hoffmann-La Roche AG nahmen im genannten Zeitraum 38 Prüfzentren aus der DDR teil. Insgesamt umfassten die Studien 7.323 Patienten, 2.247 davon aus der DDR. Die meisten Studien waren offenbar bei Boehringer Mannheim angesiedelt (37 Prüfungen, 1.809 Patienten), gefolgt von Roche (6/214) und Syntex (3/224 Patienten).

Im Rahmen der von der Boehringer Mannheim GmbH durchgeführten Studien gab es 51 Todesfälle an DDR-Prüfzentren – in denen von Syntex und Roche keine. Allerdings seien 48 der Todesfälle nicht auf die Prüfmedikation und die Teilnahme an einer klinischen Prüfung zurückzuführen, erklärt Roche – sondern auf die Schwere der Grunderkrankungen (metastasiertes Krebsleiden, terminale Niereninsuffizienz bei Dialysepatienten). Bei drei der Todesfälle hielt der verantwortliche Prüfer einen Zusammenhang mit dem zu prüfenden Arzneimittel für möglich. In allen drei Fällen starben Frauen (24, 47 und 69 Jahre alt) im Rahmen der Behandlung mit rhEPO (Epoetin-beta).

Wie es um die Aufklärung und Einwilligung der Studienteilnehmer stand, wurde ebenfalls recherchiert. Allerdings liegen Roche die Originalunterlagen über die Patientenaufklärung – mitsamt der unterschriebenen Patienteneinwilligung – nicht vor, da diese aus Datenschutzgründen immer beim Prüfzentrum verbleiben müssen. Die Dokumentationsunterlagen, die bei der wissenschaftlichen Recherche aber gefunden wurden, enthielten dem Pharmaunternehmen zufolge „detaillierte Angaben über die durchgeführte Aufklärung der Patienten und der erteilten Einwilligung sowie Angaben zu den eingehaltenen gesetzlichen Bestimmungen“. Dabei sei die Einwilligung entweder schriftlich oder mündlich unter Anwesenheit eines Zeugen erteilt worden.

Zur Bezahlung heißt es im Bericht, Vergütungen seien „primär an die Berliner Import-Export-GmbH in der DDR“ erfolgt. Beispielsweise wurde für eine klinische Prüfung mit Epoetin-beta bei Frühgeborenen an der Charité pro Patient und komplett ausgefüllter Patientendokumentation 1.000 Verrechnungseinheiten (VE) gezahlt, wobei 1 VE wertmäßig 1 DM entsprach. Bei einer von der Syntex Corporation durchgeführten klinischen Prüfung mit Nafarelin wurden 3.000 DM pro Teilnehmer bezahlt. Diese Fallhonorare lagen laut Roche im Rahmen der damals üblichen gezahlten Vergütungen. Zeitzeugen berichteten zudem, dass einzelnen Prüfzentren Sachleistungen wie Computer und/oder Laborgeräte zur Verfügung gestellt wurden, die für eine effektive und zeitgemäße Durchführung der klinischen Prüfungen erforderlich waren. Diese verblieben in einigen Fällen im jeweiligen Prüfzentrum – dazu existiere aber keine weiterführende Dokumentation.


Juliane Ziegler