Kritik an Leitbilddiskussion

Michels: Diskussion ignoriert Realität und Chancen

Berlin - 15.02.2014, 14:06 Uhr


Mit dem Vorsitzenden des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe, Dr. Klaus Michels, übt ein weiterer prominenter Vertreter der Apothekerschaft massive Kritik an der von der ABDA organisierten Leitbilddiskussion. Diese ignoriere die Realität, weil sie die wirtschaftliche Teilhabe der Apotheken am wachsenden Gesundheitsmarkt ausblende, lautet die Kritik von Michels. Und außerdem: Wegen der Einseitigkeit der Fragestellung sei für ihn der ABDA-Fragebogen keine Grundlage für die weitere Diskussion. Auch die geringe Beteiligung verfehle das Ziel, eine breite Basis für ein künftiges Leitbild zu schaffen.

Lesen Sie hier das vollständige DAZ.online-Interview mit dem Vorsitzenden des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe, Dr. Klaus Michels:

DAZ.online: Es gibt bereits harsche Kritik an der von der ABDA organisierten Leitbilddiskussion im Internet. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Michels: Ich teile die Kritik an der Leitbilddiskussion, vor allem am von der ABDA formulierten Fragebogen. Der Fragenbogen ist alles andere als ergebnisoffen.

DAZ.online: Was fehlt Ihnen?

Michels: Wir müssen über das Spannungsfeld zwischen pharmazeutischem Heilberuf und unseren kaufmännischen Aufgaben als Apotheker diskutieren. Dazu gibt es im Fragebogen nichts. Der Fragebogen ist einseitig. Er konzentriert sich auf Dinge, über die wir uns ohnehin einig sind. Kontroverse Themen werden ausgeklammert.

DAZ.online: Wollen Sie Streit?

Michels: Nein, aber eine Diskussion ohne Scheuklappen. Kein Apotheker kann die kaufmännischen Aufgaben im Fragebogen thematisieren. Das stört und ärgert mich, weil es einen ganz erheblichen Teil unserer Realität ausblendet. Was nützt uns der schöne Heilberuf, wenn wir dessen ökonomische Basis auszuklammern versuchen.

DAZ.online: Sie hätten sich also Fragen nach der zukünftigen Teilhabe von Apotheken am wachsenden Gesundheitsmarkt in Deutschland gewünscht?

Michels: Richtig. Kein Apotheker kann ernsthaft auf Distanz zur pharmazeutischen Qualität gehen. Die steht über allem. Das unterschreiben alle Apotheker sofort. Das ist trivial. Wir befürworten selbstverständlich auch AMTS und Medikationsmanagement. Darüber muss ich doch gar nicht erst diskutieren. Wir diskutieren aber leider nicht darüber, wie viel Heilberuf muss sein in der Offizin und wie viel Kaufmann sollte es sein. In diesem Spannungsfeld aber wird die Zukunft unseres Apothekerberufes entschieden. Schließlich kann ich ohne ausreichende Erträge nicht in die pharmazeutische Qualität investieren, denn diese kostet nun einmal Geld.

DAZ.online: Die Apotheke als Unternehmen ist in der Leitbilddiskussion nicht vorgesehen.

Michels: Jedenfalls völlig unterbelichtet. Tatsächlich ist jeder selbstständige Apotheker wie jeder selbstständige Heilberufler immer auch Unternehmer. Es macht nicht den geringsten Sinn, darüber nicht reden und diskutieren zu wollen. Die Alternative wäre ein verstaatlichtes Gesundheitswesen. Vielen Dank, aber ohne mich. Und da bin ich sicher nicht der Einzige.

DAZ.online: Das Thema treibt Sie ja seit langem um. Wo ziehen Sie die rote Linie zwischen Apotheker und Kaufmann?

Michels: Die gibt es nicht, wenn man das Bild des „ehrbaren Kaufmanns“ zugrunde legt, der sich am Interesse seiner Kunden orientiert und nachhaltig will, dass sie wiederkommen, weil sie optimal versorgt worden sind. Die bunte Vielfalt der Apothekenlandschaft ist doch Beleg für die Kreativität unserer Kollegen, die genau danach handeln. Meine Sorge ist, dass ein schiefes, weil einseitiges Leitbild als Rechtfertigung dienen könnte, um die heute in Grenzen vorhandene unternehmerische Freiheit der Apotheker ohne Grund weiter zu beschneiden. Ich halte beispielsweise Forderungen, dass alle Apotheken dasselbe Leistungsspektrum anbieten sollen, für fatal. Die Einheitsapotheke passt nicht in unsere bunte Welt von heute. Mit ihr würde auch jeder Wettbewerb um die Verbesserung unseres Leistungsspektrums auch im pharmazeutischen Bereich ersatzlos entfallen.

DAZ.online: Können Sie das konkretisieren? Was wollen Sie in der Apotheke alles anbieten können?

Michels: Das können und müssen die Kollegen eigenverantwortlich entscheiden, jeder für sich und seinen Standort. Ich möchte mich aber von keinem Leitbild und auch von keinen daraus abgeleiteten Forderungen der Politik gängeln und reglementieren lassen. Wenn einzelne Apotheken beispielsweise Gesundheitsreisen angeboten haben, gerät damit nicht der Berufsstand in Verruf. Damit ich richtig verstanden werde: Ich bin kein Befürworter solcher Angebote. Aber ich vertraue hier auf den gesunden Menschenverstand sowohl unserer Kunden als auch meiner Kollegen. Wir brauchen keine weiteren Vorgaben, sondern die Freiheit, gesundheitsbezogene Angebote machen zu können, wo hierfür Bedarf ist.

DAZ.online: Ihnen schwebt die Apotheke als Kaufladen für Gesundheitsdienstleistungen vor?

Michels: Nein, das klingt mir viel zu kommerziell. Ich verstehe die Apotheke der Zukunft als kompetenten Anbieter eines umfassenden Spektrums von Waren und Dienstleistungen zum Erhalt von Gesundheit. Kern muss dabei das Arzneimittel bleiben. Aber es muss auch eine Welt außerhalb von GKV, PKV und Selbstmedikation geben. Dies gilt umso mehr, als die finanziellen Ressourcen auf Grund der demographischen Entwicklung nicht ausreichend anwachsen werden. Für extrem gefährlich halte ich die in dem einen oder anderen Diskussionsbeitrag angelegte Tendenz, auf eine Loslösung der Honorierung von der Ware zu setzen. Die Logistik ist integraler Bestandteil unseres Versorgungsauftrages. Wer sie in Frage stellt, legt die Axt an die Wurzeln der inhabergeführten Apotheke. Hier liegen große Zukunftsherausforderungen, die aus meiner Sicht zwingender Bestandteil eines zukünftigen Leitbildes sein müssen. Wie stellen wir uns die zukünftige Versorgung von Patienten in dünn besiedelten Gebieten vor? Wollen wir wirklich warten, bis die Politik, wie mit dem Apothekenbus, die Richtung vorgibt?

DAZ.online: Moderne elektronische Kommunikationsformen spielen in der Leitbilddiskussion ebenfalls keine Rolle.

Michels: Das ist leider so. Aber wir müssen doch auch hier zukunftsoffen sein. Schon heute kommen viele unserer Kunden aus dem Internet „vorinformiert“ zu uns in die Apotheke. Wir müssen dringend darüber reden, ob wir als Apotheker Teil dieser Entwicklung sein oder uns von ihr abkoppeln wollen. Sollten wir nicht auch technische Geräte anbieten können, die es den Patienten erleichtern, mit ihrer Medikation umzugehen? Ich wünsche mir auch hier Offenheit und keine Selbstblockade der Apotheken.

DAZ.online: Der heimische Gesundheitsmarkt wächst kontinuierlich. Viele Apotheken fürchten um ihre Existenz. Ist das die Konsequenz aus der Fokussierung auf pure Pharmazie?

Michels: Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich stelle mir meine Apotheke auch als Angebot für gesunde Menschen vor. Ich möchte die Apotheke für alle interessant machen und nicht erst für Patienten, wenn das Rezept geschrieben ist. Wir tun gut daran, die Kunden für die Apotheke schon zu begeistern, bevor sie krank werden, indem sie bei uns interessante Gesundheitsangebote finden. Dabei kann ich mit seriöser Beratung die Vertrauensbasis legen, die besonders im Krankheitsfall notwendig ist.

DAZ.online: Solche Angebote gibt es doch bereits in den meisten Apotheken.

Michels: Wenn ich mir diese Leitbilddiskussion anschaue, wird das aber bestenfalls toleriert. Dabei lautet die entscheidende Frage doch: Wie können wir am boomenden Gesundheitsmarkt stärker teilhaben? Natürlich mit unserer Kernkompetenz. Aber alles andere auszublenden, halte ich für völlig falsch. Apotheker ist ein freier Beruf, und Freiheit müssen wir erhalten und stärken statt uns selbst einzuschränken.

DAZ.online: Welche Relevanz hat angesichts Ihrer Kritik für Sie die aktuelle Leitbilddiskussion?

Michels: Sie ignoriert die Realität und die Chancen gleichermaßen. In einigen Gebieten gibt es ja nicht mal ein halbes Dutzend Diskussionsteilnehmer. In Westfalen-Lippe haben wir über 7.400 Apothekerinnen und Apotheker. Leider liegt die Teilnehmerzahl Mitte Februar aber nur im unteren zweistelligen Bereich. Wir wissen: Mit Promille sollte man weder Auto fahren noch Leitplanken errichten.

DAZ.online: Lassen sich so aus der laufenden Internetdiskussion überhaupt Schlüsse für die Entwicklung des neuen Leitbildes ziehen?

Michels: Der Fragebogen ist für mich definitiv kein relevanter Maßstab. Das sehe ich wegen der geringen Zahl der Teilnehmer auch für die Diskussionsbeiträge nicht. So wie die Diskussion bisher läuft, geht sie am Ziel vorbei, eine breite Basis für ein künftiges Leitbild zu schaffen. 


Lothar Klein


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