Defekt einer verordneten Packungsgröße

SG Aachen: Abgegebene N-Größe für Zuzahlung maßgeblich

Berlin - 07.11.2013, 12:26 Uhr


Verordnet ein Arzt ein Arzneimittel in einer Packungsgröße, die nicht lieferbar ist, so hat die Apotheke nach dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung die nächst kleinere Packung abzugeben. Die Zuzahlung für den Patienten richtet sich dann nach dem Abgabepreis der tatsächlich ausgehändigten Packung – nicht nach der auf dem Rezept verordneten. Dies hat das Sozialgericht Aachen entschieden. Eine Apothekerin musste hierdurch eine Rechnungskürzung durch eine Krankenkasse hinnehmen.

Die Apothekerin und die beklagte Krankenkasse streiten um 6,98 Euro. Das dahinter liegende Problem ist aber ein grundsätzliches. Im vorliegenden Fall kam im Dezember 2012 ein Kunde mit einem Rezept in die Apotheke, auf dem unter anderem das Arzneimittel „Atmadisc 50µg/250µg Diskus PUL N3 3 x 60 ST“ verschrieben war. Die 3er-Packung war in der Apotheke jedoch weder vorrätig, noch konnte der Großhandel oder der Hersteller sie liefern. Da der Versicherte das Medikament umgehend benötigte, gab die Apothekerin ihm drei Einzelpackungen (N1). Am Abgabetag lag der Apothekenabgabepreis für das Arzneimittel in der Großpackung (N3) bei 150,05 Euro, der Zuzahlungsbetrag für den Versicherten bei 10 Euro. Für die N1-Packung betrug der Preis 56,62 Euro. Daraus errechnete sich ein Zuzahlungsbetrag 5,66 Euro für eine Packung (10 % des Abgabepreises) bzw. 16,98 Euro für drei. Die Apothekerin forderte von ihrem Kunden jedoch nur die Zuzahlung für die verordnete Großpackung  – also 10 Euro. Ihr eigenes Honorar berechnete sie gegenüber der Kasse nach der jeweiligen Einzelpackung.

Die Forderung der Apotheke wurde zunächst – unter Verrechnung der einbehaltenen Zuzahlung von 10 Euro und nach Abzug der Apotheken- und Herstellerrabatte – beglichen. Nach Prüfung der Abrechnung teilte das Abrechnungszentrum der Apothekerin mit, dass ein Zuzahlungsfehler vorliege und von dem abgerechneten Betrag 6,98 Euro abzusetzen seien. Dieser werde mit der nächsten Zahlung verrechnet. Dagegen legte die Apothekerin Einspruch ein. Sie vertrat die Auffassung, die Zuzahlungspflicht des Versicherten beziehe sich auf die verordnete Arzneimittelpackung. Zudem dürfe der Kunde bei Lieferschwierigkeiten nicht durch höhere Zuzahlungen belastet werden.

Das Sozialgericht wies die Klage als unbegründet zurück. Die Retaxierung sei zu Recht erfolgt. Der Vergütungsanspruch der Kasse ergebe sich aus § 129 SGB V in Verbindung mit dem hiernach geschlossenen Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung und dem Arzneimittellieferungsvertrag für NRW. Unter anderem bestimmt § 6 Abs. 1 Satz 1 des Rahmenvertrages, dass – sofern bei einer Verordnung unter Angabe der N-Bezeichnung keine Packung, die dem verordneten N-Bereich entspricht, im Handel ist – eine Packung aus dem nächst kleineren N-Bereich abzugeben ist. Falls eine solche Packung nicht im Handel ist, ist die kleinste erhältliche Packung abzugeben. Demnach konnte die Apothekerin die N1-Packung abgeben (Atmadisc 50/250 Diskus PUL gibt es nicht als N2) – und das auch drei Mal, um so auf die verordnete Stückzahl zu kommen.

Wie das Gericht ausführt, hätte die Apothekerin aber den dafür anfallenden – höheren – Zuzahlungsbetrag von dem Versicherten einbehalten müssen. Diese wollte die Zuzahlung an das „verordnete Arzneimittel“ (§ 31 Abs. 3 SGB V) anknüpfen. Das Gericht hält jedoch den „Abgabepreis“ (§ 61 SGB V) für maßgeblich. Nach dem Sinn und Zweck des § 61 Satz 1 SGB V sei mit dem dort genannten Begriff „Abgabepreis" der für den Versicherten maßgebliche „Apothekenabgabepreis", gemeint, so die Richter. Davon gehe auch die Klägerin aus – denn sonst hätte sie auch die  Apothekenzuschläge und den -rabatt nicht nach der abgegebenen Packung, sondern dem verordneten Arzneimittel bemessen müssen. Die Apothekerin wurde jedoch für die teureren Kleinpackungen vergütet – das waren 8,73 Euro brutto mehr als sie für eine N3-Packung bekommen hätte. Durch die Verrechnung mit einer Zuzahlung von nur 10 Euro statt 16,89 Euro habe sich für die Klägerin sogar ein um 15,71 Euro brutto höherer Vergütungsanspruch ergeben. „Hätte die beklagte Krankenkasse also das Rezept (…) nach der Vorstellung der Klägerin abzurechnen, würden die damaligen Lieferschwierigkeiten zwar den Versicherten nicht belasten, die Apotheke aber zusätzlich verdienen lassen“, so das Gericht.

Gegen eine Auslegung der Zuzahlungsregelung im Sinne der Klägerin spreche letztlich auch, dass sie das Problem der – eigentlich vom pharmazeutischen Unternehmer zu vertretenen – Lieferschwierigkeiten zugunsten der Versicherten und hier auch der Apotheke auf die Krankenkasse abwälzt. Diese habe jedoch die Lieferschwierigkeiten genauso wenig zu vertreten.

Angesichts der kleinen Forderungssumme wäre eine Berufung gegen das Urteil eigentlich nicht möglich. Die Kammer des Sozialgerichts hat sie dennoch zugelassen – ebenso die Sprungrevision –, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst.

Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 22. Oktober 2013, Az.: S 13 KR 223/13


Kirsten Sucker-Sket


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