Gehirn-Aneurysma

Die Zeitbombe tickte unhörbar

19.03.2013, 11:26 Uhr


Der Roman „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier und der gleichnamige Film erhielten beste Kritiken. Dabei wurde eine medizinhistorische Unwahrheit, die sich der Autor leistete, übersehen.

Der Apotheker Jorge O’Kelly war der beste Freund des Arztes Amadeu Prado – bis die schöne und intelligente Estefánia zwischen sie trat. Das ist lange her, als der Schweizer Gymnasiallehrer Raimund Gregorius zufällig ein Buch von Prado erwirbt, davon sehr beeindruckt ist und nach Lissabon fährt, um den Autor kennenzulernen. Prado ist aber bereits 1974 an einer Gehirnblutung gestorben, und O’Kelly ist ein mürrischer alter Mann geworden, der erst nach reichlichem Alkoholgenuss („Traue niemandem, der nicht trinkt“) gesprächsbereit wird. Durch ihn und die Berichte anderer Lebensgefährten macht sich Gregorius ein Bild von Prado, der wohl nicht von ungefähr Amadeu hieß, denn der Frühverstorbene war ein vielseitiges Genie, zumindest ein Traummann. Dabei wusste Prado, dass er früh sterben würde, denn er hatte ein Aneurysma im Gehirn.

Dies ist der kleine Schönheitsfehler der Handlung, denn ein Gehirn-Aneurysma konnte man damals erst postmortal diagnostizieren. Röntgenstrahlen konnten zwar die Haut durchdringen und verschiedene innere Organe und Strukturen abbilden, aber nicht hinter dem Schädelknochen. Das Gehirn eines lebenden Menschen war eine „black box“, bevor in den 1970er Jahren die Computertomografie und die MRT als bildgebende diagnostische Verfahren entwickelt wurden – und noch später routinemäßig zur Anwendung kamen.

So wundersam das Leben des Amadeu Prado auch war – seinen frühen Tod hätte er nur dann voraussehen können, wenn er noch etwas länger gelebt hätte.


Dr. Wolfgang Caesar