Pro Generika - Berliner Dialog am Mittag

Können „Praxisbesonderheiten“ Generika verdrängen?

Berlin - 14.11.2012, 16:22 Uhr


Mit dem AMNOG hat der Gesetzgeber erstmals den patentgeschützten Arzneimittelmarkt in die Zange genommen: Ein neues Arzneimittel muss nun nachweislich einen Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie aufweisen, wenn es mehr kosten soll als diese. Frühe Nutzenbewertung und Erstattungsbeträge haben daher auf den ersten Blick nicht viel mit Generika zu tun. Und doch steht zu erwarten, dass die neuen Regeln Auswirkungen auf dieses Marktsegment haben werden.

Generikahersteller blicken skeptisch auf die Verträge zwischen Originalherstellern und GKV-Spitzenverband zu Erstattungsbeträgen. Beispiel Ticagrelor (Brilique®): Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat das Ausmaß des Zusatznutzens für unterschiedliche Patientengruppen unterschiedlich beurteilt. So sah das Gremium für eine bestimmte Patientengruppe einen beträchtlichen Zusatznutzen durch Brilique® gegeben, für eine weitere einen „nicht quantifizierbaren“. Aber es gibt auch drei Patientengruppen, für die Ticagrelor gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Clopidogrel/ASS/Prasugrel) keinen Zusatznutzen aufweisen konnte.

Als sich nun AstraZeneca und GKV-Spitzenverband auf einen Erstattungsbetrag einigten, vereinbarten sie auch, dass Brilique® in den Indikationen, in denen der G-BA dem Medikament einen Zusatznutzen zugesprochen hat, als Praxisbesonderheit anerkannt wird. Sicherlich kein Einzelfall bei den Verträgen über einen Erstattungsbetrag. Auf diese Weise können Ärzte einer Wirtschaftlichkeitsprüfung gelassen entgegen sehen – auf Mengen müssen sie bei diesem Arzneimittel nicht achten. Das mag manch einen Mediziner verleiten, das Präparat auch Patienten zu verordnen, die an sich nicht zusätzlich profitieren. Denn ein generisches Clopidogrel ginge beispielsweise sehr wohl in ihre Richtgrößen ein und könnte somit zur Regressgefahr werden – auch wenn es weniger kostet. Dies, so die Sorge der Generikabranche, könnte die generischen Therapien verdrängen.

Bislang lassen sich solche Befürchtungen allerdings nicht belegen. So räumt Hans Holger Bleß, Bereichsleiter Versorgungsforschung am IGES Institut, ein, dass noch kein Einfluss auf die Verordnungszahlen von Clopidogrel zu erkennen sei, seit Ticagrelor als Praxisbesonderheit gelte. Allerdings werde das Medikament auch in vielen anderen Indikationen eingesetzt. Man werde die Entwicklungen hier auf jeden Fall im Auge behalten – Bleß wäre nicht überrascht, wenn hier doch noch Verschiebungen zu beobachten wären.

Auch für die Kassen gibt es ein Problem: Wie sollen sie erkennen, ob die Diagnose die Verordnung von Ticagrelor rechtfertigt, der Arzt also wirklich wirtschaftlich verschreibt? Zwar haben AstraZeneca und der GKV-Spitzenverband dem GKV-Vize Johann-Magnus von Stackelberg zufolge ein „enges Monitoring“ vereinbart. Man wolle genau schauen, wie das Unternehmen sein Präparat vermarktet, und auch im Auge behalten, wie sich die Mengen entwickeln. Aber Stackelberg räumt ein, hier vor einer Herausforderung zu stehen – er wünscht sich daher von der Politik in diesem Punkt in der kommenden Legislaturperiode eine „Feinjustierung“ des AMNOG. Damit ein Monitoring funktionieren kann, müssten dem GKV-Spitzenverband mehr Daten zur Verfügung stehen. Richtig problematisch könnte die Situation werden, wenn es um Arzneimittel geht, die nur für 10 Prozent einen relevanten Zusatznutzen haben und auch nur für diese Patientengruppe als Praxisbesonderheit anerkannt werden sollen. Hier wären die Kassen dankbar, wüssten sie die Diagnose.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich erklärte, die Politik würde gern mehr Daten fließen lassen – allerdings würden ihr vom Datenschutz allzu oft Schranken gesetzt. Eine gesetzliche Nachjustierung sei aber vielleicht gar nicht nötig – Hennrich zufolge hat die Selbstverwaltung hier auch Möglichkeiten, solche Fragen selbst vertraglich zu regeln.


Kirsten Sucker-Sket