Eppendorfer Dialog

Gesundheitssysteme schwer vergleichbar

Hamburg - 01.11.2012, 11:26 Uhr


Die Bewertung des deutschen Gesundheitssystems im internationalen Vergleich war das Thema des 12. Eppendorfer Dialogs, der gestern am Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf stattfand. Vergleiche sollten helfen, von positiven Erfahrungen anderer Länder zu lernen, erläuterte Prof. Dr. Matthias Augustin.

Gestützt auf vielfältige Daten bewertete Prof. Dr. Reinhard Busse, Berlin, das deutsche Gesundheitswesen kritisch. Das System müsse sich nicht verstecken, sei aber hinsichtlich der Ergebnisse in vieler Hinsicht mittelmäßig. Dafür benutze das System viele Ressourcen; in Deutschland gäbe es viele Ärzte und extrem viele Krankenhausbetten. Manche Leistungen würden sehr häufig ausgeführt, doch auch bei planbaren Eingriffen im Krankenhaus würden zu viele Menschen versterben. Hinsichtlich der Bewertung durch die Bevölkerung falle das deutsche System im internationalen Vergleich zurück, weil die anderen europäischen Länder massiv aufholen würden. Lösungen sieht Busse eher nicht in mehr Wettbewerb, sondern in mehr Koordination.

Prof. Dr. Mirella Cacace, Lüneburg, erwartet dagegen auch künftig mehr Wettbewerb. Sie stellte fest, dass die Gesundheitssysteme sich zunehmend von ihren idealtypischen Gestaltungen entfernen. Durch vielfältige Reformen würden eher Mischsysteme entstehen. Sie sieht diesen Trend positiv, weil hybride Steuerungsformen besser auf neue Herausforderungen reagieren könnten. 

Dr. Michael Reusch, Hamburg, führte zahlreiche Argumente für das deutsche Gesundheitssystem an. Es sei nicht überteuert, sondern subjektiv teuer für die Beitragszahler, weil aufgrund des demografischen Wandels immer weniger Menschen das System tragen müssten. Die Zufriedenheit sei kein Bewertungsmaßstab, weil beispielsweise die Engländer nur ihr System kennen und nicht wissen würden, welche Leistungen ihnen vorenthalten würden - von der Katarakt-OP bis zur künstlichen Hüfte. In Schweden entscheide eine Krankenschwester wer überhaupt zum Arzt kommen dürfe. Das sei in Deutschland unzulässig.

Reusch präsentierte jüngste Forschungsergebnisse, nach denen die Melanomsterblichkeit in Deutschland besonders gering ist und nur von der Schweiz unterboten wird. Doch auch einige Länder mit sehr wenigen Dermatologen erreichen demnach gute Werte. Reusch erklärte, dass dies beispielsweise in Irland durch eine sehr wirkungsvolle Triage erreicht wird. Patienten mit Verdacht auf Melanom gelangen dort bevorzugt zum Hautarzt. Doch Patienten mit nicht lebensbedrohlichen Hauterkrankungen würden daraufhin Monate oder sogar Jahre auf einen Termin warten. So werde in manchen Ländern ein relativ gutes Ergebnis beim Melanom, das statistisch als Marker verwendet wird, durch erhebliche Versorgungsdefizite bei anderen Erkrankungen erkauft. Dies wiederum zeigt die Grenzen von Statistiken zur Bewertung der Gesundheitssysteme.


Dr. Thomas Müller-Bohn