Arzneimittel-Atlas

Sinkende Kosten trotz Mehrverbrauch

Berlin - 27.08.2012, 14:19 Uhr


Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands Forschender Pharmaunternehmen (vfa), setzt auf neue Wege: Allein mit Preissenkungen bei Arzneimitteln lasse sich in Zukunft keine vernünftige Versorgung sicherstellen. Gefragt seien dezentrale Ansätze, so Fischer. Politik, Kassen, Ärzte, Apotheker und Industrie müssten gemeinsam nach Netzwerklösungen suchen, die die Patienten überzeugen.

Heute wurde in Berlin der neue Arzneimittel-Atlas vorgestellt. Die im Auftrag des vfa durch das Berliner IGES-Institut durchgeführte Analyse zum Arzneimittelverbrauch in der Gesetzlichen Krankenversicherung erscheint bereits im siebten Jahr. Erstmals konnte das IGES von sinkenden Arzneimittelausgaben berichten: 2011 freuten sich die gesetzlichen Krankenkassen, dass sie mit rund 29 Mrd. Euro fast 1,2 Mrd. Euro bzw. 4 Prozent weniger für Medikamente aufwenden mussten als noch 2010. Und das, obwohl es zugleich verbrauchsbedingte Mehrausgaben von 968 Mio. Euro gab (Basis: Erstattungspreise unter Berücksichtigung der Hersteller- und Apothekenrabatte, nicht aber der Patienten-Zu- und -Aufzahlungen). Doch die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte bekanntlich ein beachtliches Arzneimittel-Sparpaket geschnürt. Unter anderem sorgen seit August 2010 ein Preismoratorium und ein kräftig erhöhter Herstellerrabatt auf Nicht-Festbetragsarzneien für massive Einsparungen.

Unter diesen Voraussetzungen fällt es leicht, den Mehrverbrauch zu preisen: „Die wichtige Botschaft ist, dass wir mehr neue Arzneimittel und andere Therapieoptionen haben, die schwere Erkrankungen behandeln können“, betonte Fischer. Im vergangenen Jahr waren es vor allem Immunsuppressiva gegen rheumatische Erkrankungen sowie Mittel gegen Hypertonie und säurebedingte Erkrankungen, die durch mehr Verbrauch mehr Ausgaben verursachten.    

Und vielfach stecken hinter dem höheren Verbrauch tatsächlich gute Tatsachen: So gibt es beispielsweise immer mehr Menschen, die lange mit dem HI-Virus leben – dafür sind sie allerdings auf Arzneimittel angewiesen. Auch dass die Menschen in Deutschland immer älter werden, sieht das IGES als Ursache des Mehrverbrauchs. Ebenso die zunehmende Sättigung des – zuvor offenbar noch bestehenden – Arzneimittelbedarfs. Zudem können Behandlungen immer öfter ambulant statt stationär erfolgen. Weniger schön ist, dass manche Erkrankungen tatsächlich zunehmen – etwa Diabetes.

Doch der vfa warnt die Politik, den Fokus stets auf Arzneimittel zu lenken, wenn es ums Sparen geht. Einseitige Preissenkungen und ein wachsender Verteilungskampf zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen führten weder zu einer besseren Versorgung noch zu einem höheren Nutzen für Patientinnen und Patienten, mahnt Fischer. Sie verlangt neue, konstruktive Lösungen, die nicht allein auf den Preis pro Produkt abzielen, sondern alle Aspekte einer Behandlung einbeziehen. Die frühe Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln, wie sie hierzulande erfolgt, sieht die vfa-Chefin vor allem deshalb kritisch, weil hier die Nutzenbewertung zu sehr mit der – zentralen – Verhandlung des Erstattungsbetrages vermischt ist. Fischer hat andere Vorstellungen: „Wir müssen einen Preis pro Versorgung definieren, um effizient, nachhaltig und berechenbar mit den Finanzen des gesamten Systems kalkulieren zu können“. Es gehe nicht darum, an Medikamenten zu sparen, sondern durch Medikamente, betonte sie.


Kirsten Sucker-Sket