Schwere Sepsis

Volumenersatz mit HES ist Ringer-Lösung unterlegen

30.07.2012, 15:00 Uhr


Die Volumenersatztherapie mit Hydroxyethylstärke (HES) ist wieder in die Schlagzeilen geraten. Hintergrund ist eine neue randomisierte Multicenterstudie, in der HES 130/0.42 mit Ringer-Acetat-Lösung bei Intensivpatienten mit schwerer Sepsis verglichen worden ist. Das Ergebnis:

Vor über einem Jahr hatten die Diskussionen um Fälschungen zu HES-Studien durch den Mannheimer Anästhesiologen und Intensivmediziner Prof. Dr. Joachim Boldt Kritiker auf den Plan gerufen. Prof. Dr. Konrad Reinhart, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Universitätsklinikums Jena und seine Mitarbeiterin, Dr. Christiane Hartog, hatten im Gespräch mit der Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ 2011; Nr. 5 S: 63 ff) gefordert, auf den routinemäßigen Einsatz von HES-Präparaten zu verzichten. Sie kritisierten das Fehlen von qualitativ hochwertigen klinischen Studien zur  Wirksamkeit und Sicherheit der Volumenersatztherapie mit HES-Präparaten. Als besondere Risiken einer HES-Behandlung sahen sie Störungen der Nierenfunktion, der Blutgerinnung sowie die Akkumulation von HES im Körper mit der Folge von Pruritus und Organversagen.
Das Ergebnis der jetzt im New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie mit 804 Patienten scheint den Kritikern Recht zu geben. 90 Tage nach der Randomisierung waren in der HES-Gruppe 201 (51%) von 398 Patienten verstorben, in der Ringer-Acetat-Gruppe 172 (43%) von 400 Patienten. Bei 87 (22%) Patienten der HES-Gruppe und 65 (16%) Patienten der Ringer-Acetat-Gruppe war eine Nierenersatztherapie erforderlich.  Schwere Blutungen traten bei 38 (10%) Patienten  unter HES-Behandlung  und bei 25 (6%) unter Ringer-Acetat auf.

"Bedrohliche Post"

Einem Spiegel-online-Bericht zufolge sollen die Autoren der Studie „bedrohliche Post“ von dem HES-Hersteller Fresenius Kabi erhalten haben. Hintergrund war eine wohl zunächst ungenaue Bezeichnung des HES-Präparates mit HES 130/0.4, was als Verwendung des Fresenius-Präparates hätte interpretiert werden können. In der Studie war jedoch ein Konkurrenzprodukt der Firma Braun-Melsungen mit der Bezeichnung HES 130/0.42 eingesetzt worden. Die Zahl 130 gibt das Molekulargewicht an, 0.4 bzw. 0.42 den Substitutionsgrad der Hydroxyethylstärke. Damit unterscheiden sich die beiden Konkurrenzprodukte nur geringfügig.

BfArM prüft

Die neue Studie hat auch die Überwachungsbehörden auf den Plan gerufen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) teilte auf Anfrage von DAZ.online mit, dass die Studienergebnisse derzeit auf europäischer Ebene unter Federführung des BfArM bewertet werden. In diese Bewertung sollen auch die Ergebnisse einer weiteren Studie, der "Crystalloid versus Hydroxyethyl Starch Trial (CHEST)" aus Australien mit über 7000 Patienten einbezogen werden. Die Ergebnisse dieser Studie seien für August 2012 angekündigt. Auf Basis dieser Bewertung würden das BfArM und die weiteren zuständigen europäischen Behörden bei Bedarf weitere Maßnahmen zur Risikominimierung veranlassen. Unabhängig von den aktuellen Studienergebnissen seien mögliche Risiken von HES bereits in der Vergangenheit - zuletzt 2008 - im ständigen Austausch mit den anderen europäischen Arzneimittelbehörden diskutiert und kritisch bewertet worden. Bisher sei das Nutzen-Risiko-Verhältnis jedoch stets als weiterhin positiv bewertet worden.

Quelle:

Perner A et al.: NEJM 2012; 367,2: 124 ff

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Dr. Doris Uhl