Polymedikation und Risikobewusstsein

WIdO-Studie: Ältere Patienten unterschätzen Risiken

Berlin - 21.06.2012, 11:45 Uhr


27,4 Prozent der gesetzlich Krankenversicherten über 65 Jahre, die ärztlich verordnete Arzneimittel einnehmen, kommen auf fünf oder mehr verordnete Packungen. 17,2 Prozent dieser Patienten erhalten dabei Arzneimittel, die für ältere Menschen als potenziell ungeeignet gelten. Dabei ist das Risikobewusstsein der Betroffenen gering – es erhöht sich aber, wenn sie von ihrem Hausarzt und/oder Apotheker beraten wurden.

Für die Umfrage wurden 1.000 GKV-Versicherte ab 65 Jahre zu Einnahmeverhalten, Risikobewusstsein und Adhärenz im Umgang mit Arzneimitteln befragt. 86,7 Prozent geben an, zurzeit vom Arzt verordnete Medikamente einzunehmen (Frauen: 89,6 Prozent, Männer: 83,4 Prozent). Im Mittel haben sie 3,2 verschiedene Arzneimittelpackungen verordnet bekommen. 4,2 Prozent geben an, über mehr als zehn Packungen zu verfügen – darunter sowohl Rx- als auch OTC-Arzneimittel. 8,4 Prozent aller Befragten erhalten auch Arzneimittel, die auf der so genannten Priscus-Liste stehen.

Die meisten Befragten äußern eine wenig kritische Haltung gegenüber Arzneimittelrisiken und -nebenwirkungen. Zwar erwartet mehr als die Hälfte (57,1 Prozent) bei der Einnahme mehrerer Medikamente unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Doch nur ein Viertel meint, dass ältere Menschen anfälliger für unerwünschte Wirkungen sind und bestimmte Arzneimittel besonders schlecht vertragen. Das Vertrauen in den Arzt ist hier groß, 71,2 Prozent sagen: „Egal was und wie viel ich einnehme, der Arzt weiß, was am besten für mich ist“. Zugleich sagt mehr als die Hälfte der Befragten, ihr Hausarzt habe noch nie mit ihnen darüber gesprochen, dass die gleichzeitige Einnahme verschiedener Arzneimittel riskant sein kann – nur 39 Prozent bejahen diese Frage. Nicht einmal jeder Fünfte kann sich erinnern, dass ihr Arzt ihnen gesagt habe, dass es Arzneimittel gibt, die für Ältere grundsätzlich nicht geeignet sind. Dabei macht es kaum einen Unterschied, ob die Betroffenen tatsächlich Arzneimittel der Priscus-Liste erhalten oder nicht.

Auch die Beratung in der Apotheke ist der Umfrage zufolge nicht optimal. Nur 29 Prozent der Arzneimittelanwender erklären, in der Apotheke über das potenzielle Risiko informiert worden zu sein, gleichzeitig mehrere Medikamente einzunehmen. Von jenen, die Priscus-Arzneimittel erhielten, beantworten diese Frage immerhin 39 Prozent mit „Ja“. Lediglich rund 15 Prozent der Patienten können sich zudem erinnern, in der Apotheke schon einmal gefragt worden zu sein, ob sie noch andere Arzneimittel als die verordneten einnehmen. Immerhin 37,7 Prozent geben an, beraten worden zu sein, wenn Sie erstmals ein neues Arzneimittel verordnet bekommen haben – allerdings erklären auch 33,6 Prozent dies nicht mehr zu wissen. Von denjenigen, die mehr als fünf verschiedene Arzneimittel einnehmen, berichten 43,4 Prozent in einem solchen Fall von einer Beratung in der Apotheke. Aus dieser Patientengruppe erinnern sich nur 22,3 Prozent nicht.

Dabei zeigt die Studie auch, dass eine erinnerte Therapieberatung durch den Hausarzt oder Apotheker das Risikobewusstsein für Arzneimittel erhöht und die Arzneimitteleinnahme seltener vergessen wird. „Ärzte und Apotheker haben es in der Hand, das Risikobewusstsein der Patienten zu schärfen. Sie können damit auch die Therapietreue erhöhen. Dieses Potenzial sollten sie nutzen“, fordert WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber.


Kirsten Sucker-Sket