Neurologie

Wie Ablenkung den Schmerz schwächt

Hamburg - 25.05.2012, 11:54 Uhr


Ablenkung kann das Schmerzempfinden schwächen. Wissenschaftler des Instituts für Systemische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf können jetzt durch eine Studie belegen, dass dies kein rein psychologischer Vorgang ist, sondern auf einem Mechanismus basiert, der bereits auf Rückenmarksniveau einsetzt.

In einer experimentellen Studie führten gesunde Probanden zwei Schwierigkeitsstufen einer Gedächtnisaufgabe aus, während ihnen gleichzeitig schmerzhafte Hitzereize am Arm verabreicht wurden. Die einfache Stufe der Gedächtnisaufgabe führte zu keiner relevanten Ablenkung vom Schmerzempfinden. Die schwierige Stufe hingegen bewirkte, dass die Versuchsteilnehmer von den Schmerzreizen deutlich abgelenkt waren. Sie erlebten den Schmerz somit in der Folge als schwächer.

Beide Male wurde mithilfe der funktionalen Magnetresonanztomografie gemessen, wie stark das Rückenmark durch die applizierten Schmerzreize aktiviert wurde. Das Ergebnis war verblüffend: Während der schwierigen Stufe der Gedächtnisaufgabe zeigte sich im zugehörigen Abschnitt des Rückenmarks eine signifikant geringere Aktivierung durch die Schmerzreize im Vergleich zu der leichten Stufe. Dies lässt sich höchstwahrscheinlich dadurch erklären, dass das Gehirn während einer anspruchsvollen kognitiven Aufgabe ein System im Hirnstamm aktiviert, das schon auf Rückenmarksebene die dort eingehenden Schmerzsignale hemmt, so die Wissenschaftler.

Das geringere Schmerzempfinden während einer Ablenkung ist somit kein rein psychologisches Phänomen, sondern basiert auf einem aktiven Mechanismus, der bereits auf der frühesten Stufe der zentralen Schmerzverarbeitung einsetzt.

In einem zweiten Untersuchungsschritt konnten die Forscher zeigen, dass dieser Mechanismus endogene Opioide als Überträgerstoff benutzt. So bewirkte Naloxon, welches Opioidrezeptoren im Körper blockiert, eine Reduktion des zuvor beobachteten Effekts um etwa 40 Prozent.

Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass therapeutische Ansätze wie beispielsweise die kognitive Verhaltenstherapie auch das Potenzial haben könnten, bis auf die Rückenmarksebene zu wirken und dort schmerzverbundene Krankheitsprozesse zu beeinflussen.

Literatur: Sprenger, C., et al.: Current Biology 2012; Online: DOI:10.1016/j.cub.2012.04.006


Dr. Bettina Hellwig