Gemeinschaftsrecht verletzt

EuGH: Polen muss Arzneimitteleinfuhr neu regeln

Luxemburg - 12.04.2012, 12:32 Uhr


Die polnischen Rechtsvorschriften zur Einfuhr nicht zugelassener ausländischer Arzneimittel verstoßen gegen Unionsrecht – dies entschied der Europäische Gerichtshof. Nach EU-Vorgaben muss ein besonderer Bedarfsfall vorliegen, um nicht zugelassene Arzneimittel importieren zu können. In Polen wird ein solcher bereits angenommen, wenn das eingeführte Medikament preisgünstiger ist als ein wirkstoffgleiches Präparat, das in Polen zugelassen ist.

Der Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (EU-Richtlinie 2001/83) sieht vor, dass ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden darf, wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats oder der Europäischen Arzneimittelagentur eine entsprechende Genehmigung erteilt wurde. Die Mitgliedstaaten dürfen jedoch unter engen Voraussetzungen und in „besonderen Bedarfsfällen“ Ausnahmen regeln. Dabei muss es sich um Arzneimittel handeln, die auf eine nach Treu und Glauben aufgegebene Bestellung, für die nicht geworben wurde, geliefert werden und die nach den Angaben eines zugelassenen Angehörigen der Gesundheitsberufe hergestellt werden und zur Verabreichung an einen bestimmten Patienten vorgesehen sind.

Die EU-Kommission klagte vor dem EuGH, weil sie das polnische Arzneimittelgesetz in diesem Punkt mit der Richtlinie für unvereinbar hält. Grundsätzlich verbietet dieses, ein Arzneimittel aus dem Ausland einzuführen, das in Polen nicht zugelassen ist, soweit es dieselben Wirkstoffe, dieselbe Dosierung und dieselbe Darreichungsform wie ein Arzneimittel aufweist, das in Polen eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erhalten hat. Eine Ausnahme soll jedoch gelten, wenn der Preis dieses Arzneimittels im Verhältnis zum Preis der Arzneimittel mit Genehmigung „wettbewerbsfähig“ – also geringer – ist.

Die Richter des EuGH stellten nun klar, dass die Ausnahmeregelung des Gemeinschaftskodex allein für medizinisch begründete Einzelfälle vorgesehen ist. Voraussetzung sei, dass das Arzneimittel erforderlich ist, um den Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden. Sie müssten nach einer ärztlichen Untersuchung und aus rein therapeutischen Erwägungen verschrieben worden sein. Infrage kommen damit nur solche Arzneimittel, die erforderlich sind, aber für die es auf dem nationalen Markt kein genehmigtes Äquivalent gibt. Solange Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen, derselben Dosierung und derselben Darreichungsform bereits genehmigt und auf dem nationalen Markt verfügbar seien, könne von einem „besonderen Bedarfsfall“ keine Rede sein. Rein finanzielle Erwägungen rechtfertigen nach Auffassung der Richter eine solche Ausnahmesituation nicht.

In Deutschland wurde in § 73 Abs. 3 AMG die Ausnahme von der Genehmigungspflicht umgesetzt. Dort heißt es, dass nicht zugelassene und nicht genehmigte Arzneimittel nach Deutschland eingeführt werden dürfen, wenn sie von Apotheken auf vorliegende Bestellung einzelner Personen in geringer Menge bestellt und von diesen Apotheken im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis abgegeben werden. Außerdem müssen sie im Herkunftsland rechtmäßig in den Verkehr gebracht werden dürfen, und hinsichtlich des Wirkstoffs identische und hinsichtlich der Wirkstärke vergleichbare Arzneimittel dürfen für das betreffende Anwendungsgebiet hierzulande nicht zur Verfügung stehen.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 29. März 2012, Rs.: C‑185/10


Juliane Ziegler


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