Oxidativer Stress

Keine Belege für schädliche Wirkung

Heidelberg - 23.12.2011, 10:00 Uhr


Oxidativer Stress gilt als Mitverursacher einer Vielzahl krankhafter Prozesse und wird auch mit Alterungserscheinungen in Verbindung gebracht. Wissenschaftlern aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum gelang es erstmals, oxidative Veränderungen in einem lebenden Organismus direkt zu beobachten.

Ihre an Fruchtfliegen erzielten Ergebnisse lassen Zweifel an der Gültigkeit gängiger Thesen aufkommen: Die Forscher fanden keine Hinweise darauf, dass die Lebensspanne durch die Bildung schädlicher Oxidanzien begrenzt wird.

Oxidativer Stress entsteht in Zellen oder Geweben, wenn ein Übermaß an so genannten reaktiven Sauerstoffverbindungen vorliegt. Bislang konnte aber niemand oxidative Veränderungen oder gar deren Zusammenhang mit krankhaften Prozessen in einem lebenden Organismus direkt verfolgen. Es waren nur relativ unspezifische oder indirekte Nachweise darüber möglich, welche oxidativen Prozesse in einem intakten Organismus tatsächlich ablaufen.

Den Heidelberger Forschern gelang es nun erstmals, diese Vorgänge an einem lebenden Tier zu beobachten. Sie schleusten Gene für Biosensoren in das Erbgut von Fruchtfliegen ein. Die Biosensoren sind spezifisch für unterschiedliche Oxidantien und zeigen durch ein Lichtsignal den oxidativen Status jeder einzelnen Zelle an - in Echtzeit, im ganzen Organismus und über die gesamte Lebensspanne. 

Bislang gingen viele Wissenschaftler davon aus, dass es mit dem Altern zu einer generellen Zunahme an Oxidanzien im ganzen Körper kommt. Genau dies konnten die Forscher aber nicht bestätigen, als sie die erwachsenen Tiere über ihre gesamte Lebensspanne verfolgten: Eine alternsabhängige Zunahme von Oxidanzien fand sich überraschenderweise fast ausschließlich im Darm der Fliege. Beim Vergleich von Fliegen mit unterschiedlicher Lebensspanne stellten die Forscher überdies fest, dass sich die Ansammlung der Oxidanzien im Darmgewebe bei einer längeren Lebensdauer sogar beschleunigte. Die Forscher fanden demnach keine Unterstützung für die häufig geäußerte Vermutung, dass die Lebensspanne eines Organismus durch die Bildung schädlicher Oxidanzien begrenzt wird. 

Die Forscher fütterten ihre Fliegen mit N-Acetyl-Cystein (NAC), dem eine antioxidative Wirkung zugeschrieben wird. Bei den mit NAC gefütterten Fliegen zeigten sich aber keine Hinweise auf eine Abnahme der Oxidanzien. Im Gegenteil: Zur Überraschung der Forscher veranlasste NAC die Energiefabriken verschiedener Gewebe zu einer deutlich stärkeren Oxidanzien-Produktion.

Literatur: Albrecht, S. C., et al.: Cell Metabolism 2011, Online: DOI:10.1016/j.cmet.2011.10.010.


Dr. Bettina Hellwig