Physiologie

Oxidativer Stress in Fruchtfliegen live

19.12.2011, 16:24 Uhr


Wissenschaftlern des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) gelang es erstmals, die Produktion und Wirkung von freien Sauerstoffradikalen in einem lebenden Organismus, der Fruchtfliege Drosophila, direkt zu beobachten. In Versuchen, die die gesamte Lebensspanne der Maden und erwachsenen Fliegen umfassten, konnten sie keine gesundheitsschädlichen Auswirkungen der Radikale feststellen. Dieses Ergebnis stellt die gängige Anschauung, dass oxidativer Stress den Alterungsprozess beschleunigt und degenerative Krankheiten auslöst, infrage.

„Bislang konnte niemand oxidative Veränderungen oder gar deren Zusammenhang mit krankhaften Prozessen in einem lebenden Organismus direkt verfolgen“, sagte Privatdozent Dr. Tobias Dick vom DKFZ. „Es waren nur relativ unspezifische oder indirekte Nachweise darüber möglich, welche oxidativen Prozesse in einem intakten Organismus tatsächlich ablaufen.“ Ihm und seinen Mitarbeitern ist es nun der direkte Nachweis gelungen. 

Gemeinsam mit Dr. Aurelio Teleman (ebenfalls DKFZ) schleusten sie Gene für Biosensoren in das Erbgut von Fruchtfliegen ein. Es handelt sich um fluoreszierende Proteine, die spezifisch auf unterschiedliche Sauerstoffradikale reagieren und durch ein Lichtsignal den oxidativen Status jeder einzelnen Zelle anzeigen – in Echtzeit, im ganzen Organismus und über die gesamte Lebensspanne. Dabei entdeckten sie, dass die Blutzellen wesentlich mehr Radikale als beispielsweise Darm- oder Muskelzellen produzieren. Zudem veränderte sich der oxidative Status des Fettgewebes, wenn die Larven fraßen oder sich fortbewegten, anstatt zu ruhen.

Die gängige These, dass mit dem Alter der oxidative Stress zunimmt, konnten die DKFZ-Forscher nicht generell bestätigen: Eine alternsabhängige Zunahme von Radikalen fanden sie fast ausschließlich im Darm der Fliege; der erhöhte oxidative Stress begrenzte aber keineswegs deren Lebensdauer. Als Dick und Kollegen die Fliegen mit dem Antioxidans N-Acetylcystein fütterten, nahm der oxidative Stress nicht ab, sondern in verschiedenen Geweben sogar zu – ein weiteres unerwartetes Ergebnis, das auch den Empfehlungen zur Supplementierung dieses Mikronährstoffs widerspricht. 

Dick resümierte: „Offenbar sind viele Ergebnisse, die an isolierten Zellen gewonnen wurden, nicht ohne Weiteres auf die Situation in einem lebenden Organismus übertragbar.“ Dies gilt natürlich auch (in geringerem Maße) für eventuelle Rückschlüsse von der Fliege auf den Menschen. Als nächstes will Dick mit dem Biosensor den oxidativen Stress und seine Auswirkungen bei Mäusen beobachten. Man darf gespannt sein, ob sich dabei auch so überraschende Ergebnisse zeigen wie bei den Taufliegen. 

Quelle: Simone C, et al. In vivo mapping of hydrogen peroxide and oxidized glutathione reveals chemical and regional specificity of redox homeostasis. Cell Metabolism 2011; DOI: 10.1016/j.cmet.2011.10.010.


Dr. Wolfgang Caesar