Hirnforschung

Die Wirkung der Narkose

Hamburg/Tübingen - 28.11.2011, 11:32 Uhr


Bei Narkose mit dem Hypnotikum Propofol entsteht in der Großhirnrinde eine hochgradig synchrone Aktivität von Neuronen, was offenbar die Kommunikation zwischen Gehirnarealen unterbindet. Das führt zu einem Zusammenbruch der Informationsverarbeitung und damit zum Verlust des Bewusstseins. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie aus Hamburg und Tübingen.

In der Studie haben die Forscher die elektrische Gehirnaktivität der Probanden (mittels EEG oder Elektroenzephalografie) bei steigender Dosierung des Narkosemittels gemessen und den Übergang von Wachheit in tiefe Bewusstlosigkeit in sieben Stufen herbeigeführt. Auf jeder Narkosestufe erhielten die Probanden elektrische Reize am Handgelenk. Zur Bestimmung des jeweiligen Wachheitsniveaus der Probanden wurde eine Skala herangezogen, die im klinischen Umfeld breite Anwendung findet. Anders als in einer realen Narkosesituation haben sie den Prozess des kontrollierten Bewusstseinsverlustes sehr langsam schrittweise eingeleitet. Auf jeder Narkosestufe haben sie die Grundaktivität des Kortex gemessen und ermittelt, wie dieser auf den externen Reiz reagiert.

Ursprünglich ging die Wissenschaft davon aus, dass die Narkose die Informationsübertragung in die Großhirnrinde stört, im Kortex also kaum noch Signale aus der Umwelt ankommen. In der aktuellen Studie stellten die Wissenschaftler fest, dass selbst im Zustand fortgeschrittener Bewusstlosigkeit der Kortex auf sensorische Reize reagiert, diese aber nicht an andere Gehirnareale weitergeben kann.

Die vorliegende Studie zeigt, dass Propofol die Grundaktivität der Großhirnrinde massiv verändert. Propofol ist ein intravenös zu verabreichendes Narkosemittel ohne analgetische Wirkung und ohne Einfluss auf die Muskelrelaxation. Es greift offenbar in die Kommunikation zwischen verschiedenen Gehirnarealen ein, indem es eine große Anzahl von Neuronen in eine hochgradig synchrone Aktivität zwingt. Dieser extrem synchrone Zustand des Kortex verhindert, dass aus der so genannten ersten sensorischen Station des Kortex (primäres sensorisches Areal) Signale an andere Hirnregionen gesendet werden.

Ursache für Bewusstlosigkeit wäre damit die Unterbrechung der Kommunikation zwischen spezialisierten Gehirnarealen. Differenzierte Botschaften können nicht mehr ausgetauscht werden. Das Ergebnis: die Informationsverarbeitung im Kortex bricht zusammen. Genau der Zusammenbruch dieser Kommunikation könnte der Schlüssel für den kontrollierten Verlust des Bewusstseins sein, fassen die Autoren ihre Ergebnisse zusammen. Stellt sich diese neue Erkenntnis als richtig heraus, dann sollte dieser Mechanismus bei weiteren Hypnotika identisch sein. Damit wäre die Wissenschaft bei der Entschlüsselung der Funktionsweise von Hypnotika einen bedeutenden Schritt weiter.

Literatur: Supp, G., et al.: Current Biology 2011, Online: 10.1016/j.cub.2011.10.017.


Dr. Bettina Hellwig


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