igsf-Studie

Beske: Offen über Priorisierung und Rationierung diskutieren

Berlin - 07.09.2011, 17:39 Uhr


Der Kieler Gesundheitswissenschaftler Professor Fritz Beske beklagt schon lange, dass in der Politik und der Öffentlichkeit nicht ehrlich darüber diskutiert wird, was auf unser Gesundheitssystem zukommt: Wir werden älter und kränker, die Gesundheitskosten steigen. Um dies finanziell zu schultern, sei es unverzichtbar, über Priorisierung und Rationierung zu sprechen.

Den entscheidenden Anstoß für seine neue Studie gab Beske der letzte Deutsche Ärztetag. Während auf der einen Seite der damalige BÄK-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe betonte, dass die Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht reichen, um alles Gewünschte zu leisten, und schon längst eine „stille Priorisierung“ laufe, kam von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) die Botschaft, schon das Reden über Priorisierung sei unethisch.

Doch Beskes Ausgangspunkt ist, dass wir nur das Geld ausgeben können, das vorhanden ist – nicht das, was wünschenswert ist, zählt. Das gelte auch im Gesundheitswesen. Fakt ist: Die Bevölkerung geht zurück, insbesondere Erwerbstätige werden weniger. Sorgen heute noch drei Erwerbstätige für eine Person im Rentenalter, wird im Jahr 2060 das Verhältnis 1:1 sein, die Lebenserwartung beträgt dann um die 90 Jahre. Zudem treten bestimmte Krankheiten im Alter verstärkt auf. So werde sich etwa bis 2060 die Zahl der Demenz-Patienten auf 2,2 Millionen verdoppeln, ebenso die Zahl der Pflegebedürftigen (von 2,25 auf 4,5 Millionen). Hinzu kommt der medizinische Fortschritt – denn vor allem er sorgt für die steigenden Ausgaben.

Dabei wird jedoch die Finanzierungsbasis immer schmaler: Brachten 2008 noch 51 Millionen GKV-Mitglieder 160 Mrd. Euro auf, so werden es 2060 rund 11 Millionen Mitglieder weniger sein, die dann aber rund 470 Mrd. Euro finanzieren müssten. Beske: „Wer Priorisierung und Rationierung ablehnt, muss sich mit diesen Fakten auseinandersetzen“.

Beske macht in seiner Studie eine Reihe von Vorschlägen, wie eine solidarische Gesundheitsversorgung mit begrenzten finanziellen Mitteln sichergestellt werden kann. So müsse zunächst § 1 SGB V enger gefasst werden. Nicht alles, was mit Gesundheit zu tun hat, könne in den GKV-Leistungskatalog. Nötig sei eine Konzentration auf die Sicherstellung der Versorgung im Krankheitsfall sowie einige Präventionsleistungen, etwa im zahnärztlichen Bereich. Zudem liegt es Beske am Herzen, dass die Versichertenbeiträge nur der GKV zur Verfügung stehen. Quersubventionierungen sieht er kritisch. So koste die Familienversicherung 24 Mrd. Euro im Jahr. Doch warum sollte diese nur eine Angelegenheit der GKV sein und nicht der Gemeinschaft? Insbesondere wenn es um nicht arbeitende Ehepartner geht, die keine Pflegebedürftigen oder kleinen Kinder versorgen. Skandalös sei auch die medizinische Versorgung von Hartz IV-Empfängern. Die von der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung gestellten Beiträge seien nicht kostendeckend – und so subventionierten GKV-Versicherte diese mit 5 Mrd. Euro.

Weiterhin fordert Beske, Zuzahlungen in bestimmten Bereichen zu erweitern. Dies sei in vielen Fällen besser, als dass die Leistung ganz aus dem GKV-Katalog gestrichen wird. Auf Arzneimittel sollte eine prozentuale Zuzahlung erhoben werden. Als Grundprinzip müssten in der GKV Festbeträge und Festzuschüsse eingeführt werden.

Beske betonte, dass sich Gesellschaft und Politik auf Vorhersehbares einstellen müssten. „Wir müssen einen öffentlichen und transparenten Diskurs darüber starten, was finanziell möglich ist.“ Doch dass er in der Politik Gehör findet, bezweifelt der unermüdliche Wissenschaftler. Im Versorgungsstrukturgesetz sieht er jedenfalls keine Anhaltspunkte hierfür. „Wer so eine Arbeit macht wie ich, darf nicht depressiv veranlagt sein“, sagt Beske. Und doch hat er Hoffnung, dass man eines Tages doch noch seine Schriftenbände aus dem Regal zieht.


Kirsten Sucker-Sket