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Mehr Geld für das höchste Gut Gesundheit

Berlin - 20.07.2011, 09:51 Uhr


Einen starken Eindruck bei den Teilnehmern des DAZ-Jubiläumskongresses am 1. Juli in Berlin hinterließen die teilweise provozierenden Thesen von Rechtsanwalt Dr. Heinz-Uwe Dettling, Stuttgart. Er wirft der Gesellschaft einen opportunistischen Umgang mit dem Gesundheitswesen vor.

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Nach Einschätzung von Dettling muss der Gesundheit die höchste Priorität eingeräumt werden, denn ohne Gesundheit habe man gar nichts. Gesundheit sei ein Höchstwert im verfassungsrechtlichen Sinn, der Schutz der Gesundheit damit eine Kernaufgabe des Staates.

"Gesunde sind nicht bereit, so viel Mittel für Gesundheitsausgaben aufzubringen, wie sie als Kranke fordern würden", zitierte Dettling den nordrhein-westfälischen Landessozialrichter Dr. Ulrich Freudenberg. Dieser Konflikt führe im demokratischen Alltag zu opportunistischem Verhalten nach dem Prinzip von Trittbrettfahrern.

Im Gegensatz zu anderen Betrachtern sieht Dettling noch große Spielräume, da Deutschland ein reiches Land sei. Neben den gängigen Vorschlägen zur Rationalisierung und zur Rationierung werde die dritte Option oft unter den Tisch gekehrt, nämlich die Erhöhung der Finanzmittel im Gesundheitswesen. Maßstab dafür solle nicht das heutige GKV-System sein, vielmehr böten die Bürgerversicherung oder ein von Dettling bevorzugtes Prämiensystem Alternativen.

Er kritisierte, die Existenz der GKV werde wie ein Selbstzweck betrachtet, es werde mehr der hohe Rang des Systems und weniger der hohe Rang der Gesundheit betont. In der PKV würden solche Vorgehensweisen niemals akzeptiert, weil die Beiträge einen Anspruch begründen, doch auch die GKV-Versicherten würden Beiträge leisten. Letztlich fordert Dettling in der GKV dieselben Grundrechte für die Menschen, die anderswo auch gelten.

Stattdessen weise das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine weite Gestaltungsfreiheit zu und "setzt die Gesundheitspolitik so schutzlos den opportunistischen Erwartungen der Mehrheit der Wähler aus", so Dettling. Die Folgen seien Sondersolidarlasten für Minderheiten, insbesondere für die Hochbeitragszahler in der GKV, die ähnliche Beiträge wie in der PKV zahlen, aber weniger Leistungen erhalten. Weitere Solidarlasten würden den Leistungserbringern aufgebürdet, wie den Apotheken mit Rabattvertragschaos, Apothekenrabatt und ­AMNOG. Erst verzichte der Gesetzgeber auf ein staatliches Gesundheitswesen, doch dann senke er die Gewinne.

Dettling rät nicht zu Demonstrationen in Berlin, sondern in Karlsruhe. "Denn das Bundesverfassungsgericht trägt die Verantwortung für den Niedergang unseres Gesundheitswesens", erklärte Dettling. Es lasse die GKV nicht nur zu einem Sorgenkind des Rechtsstaates, sondern auch zu einem nicht mehr funktionsfähigen Gebilde degenerieren.

Aber er sieht Chancen für eine Lösung des Problems. Es sei rational und liege im aufgeklärten Eigeninteresse der Menschen, mehr Geld für Gesundheit auszugeben. Die Finanzmittel müssten nach der "Hierarchie der Dringlichkeit" verwendet werden.

Daher folge aus der Anerkennung der Gesundheit als Höchstwert, ausreichende Personal- und Sachmittel für das Gesundheitswesen bereitzustellen.


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