Gendefekte

Warum mache Babys kein Vitamin D vertragen

Münster - 27.06.2011, 15:09 Uhr


Eigentlich soll es Wachstumsstörungen der Knochen vorbeugen. In seltenen Fällen aber vertragen Säuglinge das Vitamin D nicht, das ihnen zur Vermeidung von Rachitis verabreicht wird. Forscher der Universität Münster konnten nun in Zusammenarbeit mit einem kanadischen Wissenschaftlerteam den Grund nachweisen.

Ursache ist ein Gendefekt in einem Enzym, das Vitamin D abbaut. Die Erkrankung heißt „Idiopathische infantile Hyperkalzämie“ und wurde erstmals in den 1950er Jahren beschrieben, als Säuglinge in Großbritannien zum Schutz vor Rachitis große Mengen an Vitamin D erhielten. Dieses Vitamin steuert im menschlichen Organismus vor allem den Calcium-Haushalt, der für einen gesunden Knochenbau wichtig ist. Einige der Babys jedoch entwickelten Erbrechen, bekamen Fieber, schieden zu viel Urin aus und nahmen an Gewicht ab. Die Ärzte stellten fest, dass sich in Blut und Nieren zu viel Calcium angesammelt hatte.

Von Hundertausenden von Kindern wurden in Großbritannien etwa 200 krank. Eine genaue Erklärung dafür hatten die Wissenschaftler damals nicht. Lediglich der Zusammenhang mit der Vitamingabe war offensichtlich. Zu viel konnte offenbar toxisch wirken, daher wurde die Dosis reduziert. In der ehemaligen DDR wurde noch bis 1990 eine zweimonatliche so genannte „Stoßtherapie“ mit sehr hohen Vitamin-D-Gaben unter ärztlicher Aufsicht praktiziert. Unter dieser Stoßtherapie zeigten einige Kinder schon nach wenigen Wochen die für das Krankheitsbild typischen Symptome.

In den westlichen Ländern wurde nach den Erfahrungen in Großbritannien die Dosis auf 400 bis 500 Einheiten Vitamin D täglich während des ersten Lebensjahres reduziert. Die Zahl der Komplikationen ging dadurch zurück, ohne dass die Häufigkeit einer Rachitis als Folge eines Vitamin-D-Mangels zunahm. Die Vermutung früherer Forscher, dass die an Hyperkalzämie erkrankten Babys eine besondere Empfindlichkeit für das Vitamin haben, konnte jetzt eine Arbeitsgruppe aus Münster in Zusammenarbeit mit einem Team der Queen’s University in Kingston (Kanada) bestätigen: Die Wissenschaftler entdeckten bei erkrankten Kindern Mutationen im Gen CYP24A1. Dieses Gen kodiert für das Schlüsselenzym des Abbaus von aktivem Vitamin D im menschlichen Körper. Die Mutationen führen zu einem Ausfall des Enzyms, wodurch der Vitamin-D-Spiegel ansteigt.

Exakte Zahlen über die Häufigkeit in der Bevölkerung gibt es nicht. Man schätzt, dass eines von etwa 50.000 Babys betroffen ist. Der Gendefekt wird autosomal-rezessiv vererbt. Dies bedeutet, dass beim Kind ein 25-prozentiges Risiko für das Auftreten der Erkrankung besteht, wenn beide Eltern Träger der Krankheitsanlage sind. Da die Symptome zunächst recht unspezifisch sind, ist eine eindeutige Diagnose nicht einfach. Schwer erkrankte Kinder werden meist an Universitätskliniken überwiesen, wo die Ursache dann eindeutig festgestellt werden kann. Eine generelle Vitamin-D-Prophylaxe ist jedoch in jedem Fall richtig und sinnvoll, da der Gendefekt nur wenige Kinder betrifft.

Literatur: Schlingmann, K. P., et al.: New Engl. J. Med. 2011, Online-Publikation doi: 10.1056/NEJMoa1103864.


Dr. Bettina Hellwig