Retroviren

Spumaviren für die Gentherapie

Bayreuth/Würzburg - 24.05.2011, 15:12 Uhr


Spumaviren sind Retroviren. Bisher ist kein Krankheitsbild bekannt, das seine Ursache in einer Infektion mit diesen Viren hätte. Spumaviren könnten sich daher dazu eignen, Gene zu therapeutischen Zwecken in menschliche Zellen einzuschleusen.

Wie alle Viren können sich auch Spumaviren nur dadurch vermehren, dass sie in Zellen eines lebenden Organismus – die Wirtszellen – eindringen. Sobald die Infektion gelungen ist, wird das im Viruskern enthaltene Erbgut freigesetzt und in das Erbgut der infizierten Zelle eingeschleust. In der Folge vermehrt die Zelle das virale Erbgut. Gleichzeitig werden alle Proteine hergestellt, die für den Zusammenbau eines neuen Virus notwendig sind.

Diese Proteine sind bei ihrer Entstehung miteinander verkettet. In der Regel sind es zwei oder drei Proteine, die wie die Glieder einer Kette verbunden sind. In dieser Form aber können sie keine biochemischen Funktionen erfüllen. Deshalb müssen die viralen Vorläuferproteine aufgetrennt werden. Dafür wird ein Enzym, eine Protease, benötigt. In einem inaktiven Zustand wartet diese darauf, bei der Spaltung der Proteinketten zum Einsatz zu kommen.

Die Forscher konnten nun einen bisher unbekannten biochemischen Prozess entdecken und wissenschaftlich beschreiben: Mit dem Ziel, die kleinen Proteinketten aufzutrennen, schließen sich jeweils zwei Moleküle der Protease paarweise zusammen. Erst in dieser Kombination werden sie aktiv und wirken wie die Klingen einer Schere: Dann zerschneidet die Protease die Vorläuferproteine in separate Abschnitte, die nun ein neues infektiöses Virus bilden können.

Damit zwei Proteasemoleküle sich zu einer derartigen Schere zusammenschließen können, müssen sie in direkter Nachbarschaft auf dem RNA-Strang Platz nehmen, der das Erbgut des neu entstehenden Virus bildet. Andernfalls hätte die scherenartige Verbindung der beiden Moleküle nicht die erforderliche Stabilität, oder sie würde gar nicht erst zustande kommen. Die virale RNA ist daher eine unverzichtbare Operationsbasis für die aktive Protease. Nur so kann der enzymgesteuerte Prozess, der die viralen Vorläuferproteine aufspaltet, geordnet und vollständig bis zum Ende ablaufen. Bei allen anderen Retroviren verhält es sich anders: Bei ihnen ist die RNA an diesem Prozess nicht beteiligt.

Die auf der RNA platzierten Protease-Moleküle sind an ihren Enden mittelbar mit den Molekülen eines anderen Enzyms verbunden, der Integrase. Dieses Enzym übernimmt eine entscheidende Funktion, wenn das neu entstandene infektiöse Virus seinerseits in eine Wirtszelle eindringt: Das Erbgut des Virus kann nur mit Hilfe der Integrase in die DNA einer Wirtszelle eingebaut werden. Dazu müssen die Moleküle der Integrase so angeordnet sein, dass sie sich in räumlicher Nachbarschaft aneinander lagern.

Damit ein solcher Verbund entstehen kann, ist die auf der RNA platzierte Protease unentbehrlich. Denn die Protease-Moleküle erfüllen auch hier ihre Scherenfunktion: Wechselseitig spalten sie die Integrase-Moleküle ab. Erst dieser Vorgang bewirkt, dass sich die „befreiten“ Integrase-Moleküle im neu entstehenden Virus richtig aneinander lagern können. Die Forscher vermuten, dass auch diese räumliche Anordnung der Integrase nur zustande kommen kann, weil die Protease in relativ stabiler Form auf dem RNA-Strang positioniert ist.

Für die Spumaviren ist es im Unterschied zu allen anderen Retroviren charakteristisch, dass die RNA in DNA umgeschrieben wird, kurz bevor ein neues infektiöses Virus die Wirtszelle verlässt. Spumaviren enthalten daher DNA. Dies gilt in analoger Weise, wenn Spumaviren im Rahmen einer Gentherapie genutzt werden, um Erbmaterial in die krankhaft beschädigte DNA einer Zelle einzuschleusen. Innerhalb dieser Zelle muss dann keine Transkription von viraler RNA in DNA mehr stattfinden. Zudem ist die DNA im Virus sehr viel stabiler als eine vergleichbare RNA. Auch diese Besonderheit macht die Spumaviren für einen Einsatz in der Gentherapie attraktiv.

Literatur: Hartl, M. J., et al.: J. Virol. 2011;85(9):4462-9; Online: DOI 10.1128/JVI.02211-10


Dr. Bettina Hellwig