Schnellbewertung neuer Arzneimittel

Letzte Vorbereitungen in dieser Woche

Berlin - 17.01.2011, 11:01 Uhr


Die Pharma-Welt ist in Aufregung: Die Vorbereitungen für die frühe Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln laufen auf Hochtouren. Zentrale Details des neuen Prüfprozesses sollen in dieser Woche noch beschlossen werden.

Die Premiere macht der Hersteller AstraZeneca, der seinen neuen Blutverdünner Brilique (Wirkstoff: Ticagrelor) als erstes in die frühe Nutzenbewertung für neue Arzneimittel geschickt hat. Bis zu 30 Medikamente mit neuen Wirkstoffen gegen Krebs, Herz-Kreislauf-Leiden und Infektionen hat die Pharma-Branche für 2011 angekündigt. Sie alle wären Anwärter für das neue Verfahren, in dem der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Mehrwert neuer Medikamente im Vergleich zu bisherigen Mitteln prüfen wird. Basis hierfür sind die Studienergebnisse der Hersteller, die der Arzneizulassung zugrunde lagen. Erkennt der Ausschuss einen Zusatznutzen an, verhandelt der GKV-Spitzenverband mit dem Hersteller über Abschläge vom Preis – je nach Umfang des Zusatznutzens. Rund zwei Milliarden Euro sollen durch die Bewertungen pro Jahr gespart werden.

Aus Sicht der Experten ist es jedoch problematisch, dass teils nur sehr lückenhafte Informationen zu den Mitteln vorliegen: „Zum Zeitpunkt der Zulassung hat man nie die Daten, die nötig sind, um die Sicherheit sicher zu bewerten“, sagt etwa der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ) Wolf-Dieter Ludwig. Auch lebensbedrohliche Risiken erkennt man oft erst lange nach den bestenfalls an einigen tausend Patienten gesammelten ersten Erfahrungen. „Bei sehr vielen Medikamenten dürfte rauskommen, dass zwar ein Zusatznutzen vorliegt, dieser aber wegen mangelnder Daten nicht bestimmbar ist“, meint Ludwig. „Wenn überhaupt gibt es bei 30 Prozent neu zugelassener Arzneimittel tatsächliche therapeutisch relevante Innovation."

„Bei Medikamenten mit gut manipulierten Zulassungsstudien, aber ohne echten Zusatznutzen dürfte ein Hersteller keine weiteren Studien machen, wenn es einmal auf dem Markt ist", meint Ludwig. Für die Patienten befürchtet er daher eine suboptimale Versorgung.  Der G-BA-Vositzende Dr. Rainer Hess sieht das neue Verfahren zwar im Hinblick auf die erhoffte Senkung der Arzneimittelausgaben der Krankenkasse positiv. Doch auch teilt die Kritik der Ärzteschaft: „Möglicherweise verschlechtert sich die Studienlage hier sogar, weil die Hersteller nun sagen können: Es gab doch schon eine frühe Nutzenbewertung, wofür sollen wir weitere Studien finanzieren und durchführen?" Zwar kann der G-BA dann wie bisher den tatsächlichen Nutzen bewerten und zudem weitere Studien verlangen. Es fehle aber eine Pflicht für die Firmen, inzwischen von sich aus die Zweckmäßigkeit der Präparate zu beweisen, kritisierte Hess.

Befürchtungen, die Risiken für Patienten könnten sich erhöhen, wies das Bundesgesundheitsministerium zurück. Erst wenn am Ende umfangreicher Prüfungen feststehe, dass der Nutzen eines neuen Arzneimittels die möglichen Risiken deutlich übersteige, würden die Kontrollbehörden die Zulassung erteilen, sagte ein Sprecher. „Daran hat sich nichts geändert.“

In seiner Sitzung am kommenden Donnerstag will der G-BA zentrale Schritte des neuen Verfahrens beschließen. In seine Verfahrensordnung muss er einen neuen Abschnitt für die neue frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel implementieren. Wegen des großen Zeitdrucks ist geplant, dass – anders als üblich – ein Vertreter des Rösler-Ministeriums den Beschluss noch in der Sitzung billigt. Einen Tag vorher will die AKdÄ ein Konzept gegen bleibende Schwachstellen vorstellen.


dpa/Kirsten Sucker-Sket