Lebensmittelforschung

Die Chemie des schwarzen Tees

Bremen - 30.12.2010, 07:00 Uhr


Einem deutsch-englischen Forscherteam gelang es jetzt erstmals, mit Hilfe einer speziell angepassten hoch auflösenden Massenspektrometrie-Methode aus der Erdöl-Forschung bis zu 10.000 verschiedene Verbindungen

Die Substanzklasse der Thearubigene machen 60 bis 70 % aller in schwarzem Tee gelösten Inhaltstoffe aus, sie verleihen ihm Aroma und die typische braunrote Farbe.

Trotz seiner enormen Bedeutung für Ernährung, Wirtschaft und Kulturgeschichte war die chemische Zusammensetzung von schwarzem Tee bis heute größtenteils ungeklärt. Neben dem allgemein bekannten Inhaltsstoff Coffein waren bislang nur rund ein Drittel aller in schwarzem Tee gelösten und unter dem Sammelbegriff "Gerbstoffe" zusammengefassten Substanzen chemisch charakterisiert.

Die so genannten Thearubigene wurden 1959 das erste Mal beschrieben. An ihrer Strukturanalyse beißen sich Experten jedoch seit über 50 Jahren die Zähne aus, denn mit den analytischen Standardverfahren der Lebensmittelchemie konnte man bei der Analyse von Schwarztee nur wenige markante und gut zu deutende Einzelsignale erfassen, die ein Ableiten von Molekülstrukturen für einzelne Inhaltsstoffe zulassen. Der größte Teil einer Schwarztee-Analyse bestand bislang aus einem undifferenzierten, nicht näher interpretierbaren Signal-Rauschen.

Jetzt untersuchen die Wissenschaftler insgesamt 15 handelsübliche Schwarzteesorten mit einer Reihe sich ergänzender Analyseverfahren. Sie konnten zeigen, dass die aus Schwarztee isolierten Thearubigene typischerweise kleine Moleküle mit einem Molekulargewicht zwischen 300 und 2.100 Dalton sind und zur Gruppe der Polyphenole gehören. Diese aromatischen Verbindungen kommen in allen Pflanzen vor, zum Beispiel als Blütenfarbstoffe oder als Bitterstoffe. Unter anderem schützen sie die Pflanzen vor UV-Strahlung und schrecken Fressfeinde ab.

Im Schnitt fanden die Wissenschaftler pro Probe rund 5.000 verschiedene Verbindungen in der Thearubigen-Fraktion der untersuchten Schwarztees, in mehreren Fällen sogar knapp 10.000. Das sind zehnmal mehr als erwartet und bedeutet, dass schwarzer Tee das komplexeste Lebensmittel ist, welches jemals analysiert werden konnte, so die Forscher. Die Präsenz so vieler sehr ähnlicher Stoffe erkläre auch das Versagen der herkömmlichen Verfahren.

Die nötige Messgenauigkeit zur Auftrennung der Einzelsignale konnte durch den Einsatz einer kürzlich für die petrochemische Analytik entwickelten ultrahoch auflösenden Massenspektrometrie-Methode, der so genannten Fouriertransformation-Ionenzyklotronresonanz-Massenspektrometrie (FT-ICR-MS) erzielt werden, deren Auflösungsvermögen die Standardverfahren um ein Tausendfaches übertrifft. Auch das computerbasierte Interpretationsverfahren zur Herleitung der chemischen Strukturformeln stammt ursprünglich aus der Erdöl-Forschung und wurde an die Schwarzteedaten angepasst. Insgesamt 1.517 individuelle Strukturformeln konnten eindeutig einzelnen Messsignalen zugeordnet werden, 500 davon wurden experimentell verifiziert.

Mit dieser Methode eröffnen sich neue Perspektiven für die Lebensmittelchemie von Naturprodukten: Ähnlich wie petrochemische Proben zeichnen diese sich oft durch äußerst komplexe, schwer zu charakterisierende Mischungen von Inhaltstoffen aus; neben Tee sind Schokolade, gerösteter Kaffee oder Karamell typische Beispiele.

Quelle: Kuhnert, N., et al.: Rapid Commun. Mass Spectrom. 2010;24(23):3387-3404, Online: DOI: 10.1002/rcm.4778.



Dr. Bettina Hellwig