Schmerzforschung

Welche Farbe hat der Schmerz?

Nürnberg - 22.11.2010, 06:50 Uhr


Nürnberger, Wiener und Bostoner Forscher haben ein neues Schmerz-Gen entdeckt und mit funktioneller Kernspintomographie untersucht, wie das neu entdeckte Gen daran mitwirkt, ob und in welchem Ausmaß Mäuse Schmerzen

Zunächst wurde in Fruchtfliegenlarven ein Gen entdeckt, das dafür sorgt, dass Fruchtfliegenlarven hohen Temperaturen aus dem Weg gehen. Dieses Gen ist auch in der erwachsenen Fruchtfliege aktiv – hier sorgt es ebenfalls dafür, dass hohe Temperaturen gemieden werden. Ein fast identisches Gen alpha2delta3 ließ sich in der Maus nachweisen. Es ist für den Transport von Calciumionen durch Zellmembranen verantwortlich, ein Mechanismus, in den einige wirksame Schmerzmittel eingreifen. Mäuse, bei denen dieses Gen deaktiviert ist, zeigten eine deutlich verminderte Wahrnehmung von Hitzeschmerz.

Schließlich konnte das humane Analog-Gen beim Menschen identifiziert werden. Um herauszufinden, ob das alpha2delta3-Gen die Schmerzwahrnehmung beim Menschen beeinflusst, wurden Studien mit gesunden Freiwilligen durchgeführt, die genetische Varianten im Bereich dieses Gens aufweisen. Die Tests, bei denen die Reaktion auf kurze Hitzepulse gemessen wird, bescheinigten den Trägern einiger Genvarianten tatsächlich ein geringeres Schmerzempfinden. Die Forscher stellten außerdem fest, dass Patienten mit diesen Abweichungen nach Bandscheibenoperationen wesentlich seltener über chronische Rückenschmerzen klagen als Personen mit dem unveränderten Gen.

In einem nächsten Schritt untersuchten die Wissenschaftler die Schmerzverarbeitung bei Mäusen, deren alpha2delta3-Gen mutiert ist. Sie konnten den Verlauf des Schmerzsignals im Körper der Tiere sichtbar machen. Dabei wurden im Prinzip schmerzhafte Untersuchungen an Mäusen durch die Kernspintomographie schmerzfrei durchgeführt: Die Versuchstiere waren während der Untersuchung in Narkose.

Magnetresonanz-Aufnahmen des Gehirns zeigten, dass das Signal auch bei den Mäusen mit Gendefekt unverändert im Thalamus - einer ersten Schaltzentrale des Gehirns - ankommt. Von dort wird es jedoch nicht korrekt in die Gehirnrinde weitergeleitet, wo der Schmerz erst bewusst wird. Stattdessen tauchen Aktivitätsmuster in anderen Gehirnregionen auf, die für optische, akustische, oder olfaktorische Eindrücke stehen. Allem Anschein nach sehen, hören oder riechen die genveränderten Mäuse den Schmerz, anstatt ihn zu fühlen.

Dieses Phänomen der gekoppelten Sinneseindrücke ist als Synästhesie bekannt und betrifft etwa vier Prozent der Bevölkerung. Synästhesie ist erblich und wird mit gesteigerter Intelligenz und Kreativität in Verbindung gebracht. Mit den alpha2delta3-Mutanten haben die Forscher vermutlich das erste Tiermodell zur Hand, an dem sich Synästhesie studieren lässt.

Quelle: Neely, G., et al.: Cell 2010;143:1-11.



Dr. Bettina Hellwig