Prophylaxe und Therapie von Thromboembolien

Alte und neue Sterne am Antikoagulanzienhimmel

Frankfurt/Main - 12.03.2010, 15:14 Uhr


Venöse Thromboembolien sind nach Herzinfarkt und Schlaganfall die dritthäufigste Gefäßerkrankung. Wie Prof. Dr. Susanne Alban auf der Interpharm betonte, sind aufgrund der häufigen Rezidive sowie Folgeerkrankungen wie dem postthrombotischen Syndrom nicht nur wirksame Arzneimittel für die Therapie, sondern vor allem auch für die Prävention wichtig.

Die jährliche Inzidenz tiefer Venenthrombosen und Lungenembolien beträgt etwa 1,5 Fälle pro 1000 Einwohner. Jahrzehntelang beschränkten sich die Optionen für die Antikoagulation auf unfraktioniertes Heparin und die Vitamin-K-Antagonisten. Mit der Einführung der verschiedenen niedermolekularen Heparine wurde Alban zufolge zwar die kurz- und mittelfristige Antikoagulation entscheidend verbessert, eine Alternative zu den Vitamin-K-Antagonisten für die Langzeittherapie steht jedoch noch aus.

In Deutschland sind sechs verschiedene niedermolekularen Heparine zugelassen: Certoparin, Dalteparin, Enoxaparin, Nadroparin, Reviparin und Tinzaparin. Zwischen den einzelnen niedermolekularen Heparinen gibt es laut Alban nicht nur chemische und pharmakologische, sondern auch klinisch relevante Unterschiede, so dass jede Substanz als  individueller Arzneistoff anzusehen und entsprechend seiner Evidenz und seines klinischen Profils einzusetzen ist. „Niedermolekulare Heparine sind distinkte Arzneistoffe und sind nicht so ohne weiteres austauschbar“, betonte Alban. Heparine sind ein Segen der Medizin und haben die Therapie sehr stark vereinfacht, aber sie sind hinsichtlich produktionsbedingter Variabilität, Wirksamkeit und Sicherheit nicht als optimal einzuschätzen. Auch auf Grund des tierischen Ursprungs sollten sie nicht mehr eingesetzt werden: Durch die Limitierung der Rohstoffquelle (für eine eingesetzte Dosis Heparin wird in der Herstellung ein ganzes Schwein benötigt!) stammt fast alles Heparin aus China. Dort können die Produktion sowie Qualitäts- und Sicherheitsstandards nur schwer kontrolliert werden. Dieses Problem gipfelt 2008 im Heparinskandal, der mehrere hundert Todesopfer gefordert hat.

Als einen Meilenstein in der Antikoagulation nannte Alban Fondaparinux, das 2002 als erster selektiver Faktor-Xa-Inhibitor und erster Arzneistoff auf der Basis eines synthetischen Oligosaccharides zugelassen worden war. Es besitzt einen sehr spezifischen Wirkmechanismus, ein lineares pharmakologisches Profil und inzwischen ein ebenso breites Indikationsspektrum wie Enoxaparin mit den Vorteilen, dass es nicht tierischen Ursprungs ist und keine Heparin-induzierte Thrombozytopenie Typ II induziert.

Die industrielle Antikoagulanzien-Forschung konzentriert sich derzeit vor allem auf die Entwicklung direkter Thrombin- und Faktor-Xa-Inhibitoren. Derzeit stehen vier parenterale direkte Thrombin-Inhibitoren für kleine Indikationsgebiete zur Verfügung: die rekombinanten Hirudine Lepirudin und Desirudin, das semisynthetische Hirudin-Analogon Bivalirudin und Argatroban.

Für die orale Anwendung haben 2008 zwei der Kandidaten in klinischer Prüfung die Zulassungshürde geschafft: der direkte Thrombin-Inhibitor Dabigatranetexilat, der ein doppeltes Prodrug ist, und der erste direkter Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban. Ihr Einsatzgebiet beschränkt sich allerdings aktuell auf die "Einstiegsindikation“ Knie- und Hüftgelenkersatz-OP. Immerhin, so Alban, besitzen sie das Potenzial, die Vitamin-K-Antagonisten zu ersetzen und so einen Paradigmenwechsel in der Antikoagulation zu herbeizuführen.


Dr. Beatrice Rall


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