Hormonwirkungen

Testosteron für die Fairness

14.12.2009, 07:00 Uhr


Das Vorurteil, Testosteron bewirke beim Menschen aggressives, selbstbezogenes und riskantes Verhalten, wird durch neue Experimente widerlegt. Menschen mit einem künstlich erhöhten Testosteronspiegel verhandeln fairer als Personen, die

Wissenschaftliche Populärliteratur, Kunst und Medien schreiben dem Testosteron seit Jahrzehnten eine Rolle zu, die für Aggressivität steht. Die Forschung schien dies zu bestätigen - führte doch die Kastration männlicher Nagetiere zu einer Reduktion der Streitlust der Tiere untereinander. Über die Jahrzehnte erwuchs so das Vorurteil, Testosteron verursache aggressives, riskantes und egoistisches Verhalten. Doch von solchen Versuchen bei Tieren zu folgern, Testosteron wirke bei uns Menschen vergleichbar, hat sich nun als Fehlschluss erwiesen. Das zeigt eine Studie der Universitäten Zürich und London. Darin wurde überprüft, wie das Hormon auf das Sozialverhalten wirkt.

Für die Studie nahmen 120 Versuchspersonen an einem Verhandlungsexperiment teil, in dem über die Aufteilung eines realen Geldbetrages verhandelt wurde. Dabei ermöglichten die Regeln, sowohl faire als auch unfaire Angebote zu machen. Anschließend konnte der Verhandlungspartner das Angebot annehmen oder ablehnen. Je fairer das Angebot, desto unwahrscheinlicher war es, dass der Verhandlungspartner ablehnt. Wenn keine Einigung zustande kam, dann verdienten beide Parteien nichts.

Vor dem Spiel erhielten die Versuchspersonen entweder eine Dosis von 0,5 mg Testosteron oder ein entsprechendes Placebo. "Würde man der gängigen Meinung folgen, wäre zu erwarten, dass die Versuchspersonen mit Testosteron eine aggressive, selbstbezogene und riskante Strategie wählen - ungeachtet der möglichen negativen Auswirkungen auf den Verhandlungsprozess", erläuterten die Forscher. Das Ergebnis der Studie zeigt jedoch das Gegenteil. Versuchspersonen mit künstlich erhöhtem Testosteronspiegel machten durchgehend die besseren, faireren Angebote als diejenigen, die Scheinpräparate erhielten. Sie reduzierten so das Risiko einer Zurückweisung ihres Angebotes auf ein Minimum. Damit sei das Vorurteil, Testosteron trage beim Menschen ausschließlich zu aggressivem oder egoistischen Verhalten bei, hinlänglich widerlegt, so die Forscher. Stattdessen legen die Resultate nahe, dass das Hormon die Sensitivität für den Status erhöht. Bei Tierarten mit relativ einfachen sozialen Systemen mag sich ein erhöhtes Statusbewusstsein in Aggressivität ausdrücken. "In der sozial komplexen Umwelt des Menschen sichert nicht Aggression, sondern pro-soziales Verhalten den Status", vermuten die Forscher. Wahrscheinlich sei es nicht das Testosteron selbst, das Fairness fördert oder aggressiv macht, sondern das Zusammenspiel zwischen dem Hormon und der sozial differenzierten Umwelt.

Darüber hinaus zeigt die Studie, dass die Volksweisheit, das Hormon mache aggressiv, offenbar tief sitzt: Jene Versuchspersonen, die glaubten, das Testosteronpräparat und nicht das Scheinpräparat erhalten zu haben, fielen durch äußerst unfaire Angebote auf. Möglicherweise wurde die Volksweisheit von diesen Personen als Legitimation benutzt, sich unfair zu verhalten. Demnach scheint es, dass nicht Testosteron selbst zu Aggressivität verleitet, sondern vielmehr der Mythos rund um das Hormon.

Quelle: Eisenegger, C., et al.: Nature, Online-Vorabpublikation, DOI: 10.1038/nature08711.



Dr. Bettina Hellwig