Sprachentwicklung

Babys schreien in ihrer Muttersprache

Würzburg - 26.11.2009, 07:00 Uhr


Vergleiche zwischen wenige Tage alten Babys in Frankreich und Deutschland zeigen: Neugeborene schreien in ihrer Muttersprache. Die Fähigkeit, aktiv Sprache zu produzieren, ist demnach sehr viel früher vorhanden als bisher angenommen. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung von Wissenschaftlern aus Würzburg und Paris.

Schon lange ist bekannt, dass Babys im letzten Drittel der Schwangerschaft in der Lage sind, die Stimme der Mutter zu erkennen und die "Muttersprache" von einer Fremdsprache zu unterscheiden. Klar war auch, dass Neugeborene schon nach wenigen Monaten die Technik beherrschen, in ihren Schreien einfache Melodiebögen und unterschiedliche Betonungen zu erzeugen. Die Diskussion drehte sich in erster Linie um die Frage, wann sich aus einem "unkontrollierten Schrei" das erste "Sprachprodukt" entwickelt.

Die vorherrschende Meinung war bisher, dass Neugeborene nicht aktiv auf die Lautproduktion Einfluss nehmen können. Stattdessen galt die Überzeugung: Die Schreimelodie von Neugeborenen wird wie bei Affenjungen allein durch Aufbau und Abfallen des Atemdrucks bestimmt und ist nicht vom Gehirn beeinflusst. Diese Ansicht hat das Forscherteam jetzt widerlegt.

Die Wissenschaftler haben sich für ihre Untersuchung auf deutsche und französische Neugeborene konzentriert, weil zwischen diesen beiden Sprachen besonders große Unterschiede in der Intonation existieren. Im Französischen werden sehr viele Worte zum Ende hin betont, so dass die Sprachmelodie ansteigt, im Deutschen ist es meist umgekehrt. Ein ähnliches Muster fanden die Forscher in ihren Analysen von mehr als 20 Stunden Schreiaufnahmen. Die Neugeborenen bevorzugen genau diejenigen Melodiemuster, die für ihre jeweiligen Muttersprachen typisch sind.

Die frühe Sensibilität für sprachmelodische Eigenschaften könnte den Säuglingen später beim Erlernen ihrer Muttersprache helfen. Das neue Wissen um den frühen Start des Spracherwerbs könnte dazu beitragen, Sprachentwicklungsstörungen frühzeitig zu entdecken und zu behandeln.

Quelle: Mampe, B. et al.: Current Biology, Online-Vorabpublikation, DOI: 10.1016/j.cub.2009.09.064.


Dr. Bettina Hellwig