Pfizer hält Studienergebnisse unter Verschluss

IQWiG fordert gesetzliche Verpflichtung zur Veröffentlichung von Studiendaten

Berlin - 11.06.2009, 12:26 Uhr


Während Pfizer die gelieferten Daten für eine Bewertung des Wirkstoffs Reboxetin als hinreichend erachtet, sieht sich das IQWiG in seiner Arbeit behindert und fürchtet eine Verzerrung der Bewertung.

Das IQWiG hat die Aufgabe, Nutzen und Schaden von Arzneimitteln in Bezug auf patientenrelevante Endpunkte wie Mortalität, Morbidität und Lebensqualität zu bewerten und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als Empfehlung zur Beschlussfassung von Arzneimittelrichtlinien zuzuleiten. Aktuell war es vom G-BA mit der Nutzenbewertung der Wirkstoffe Reboxetin, Mirtazapin und Bupropion XL zur Behandlung Erwachsener mit Depressionen beauftragt worden, welche nun in einem Vorbericht veröffentlicht wurde.

Darin bescheinigt das Institut dem Wirkstoff Bupropion XL, zu dem der Hersteller GlaxoSmithKline (GSK) alle Studiendaten zugänglich gemacht hatte, einen Nutzen bei gleichzeitig fehlenden Hinweisen auf Schäden. Für Mirtazapin hatte sich nur gegenüber Placebo nicht aber gegenüber anderen Antidepressiva eine Überlegenheit ergeben, die sich hinsichtlich einer völligen Heilung aber auch für Placebo nicht mehr nachweisen ließ. Aufgrund von Nebenwirkung kam es vermehrt zu Therapieabbrüchen. Das IQWiG stellte dieses Ergebnis jedoch insgesamt unter Vorbehalt, da hier nur die Daten von 27 der insgesamt mindestens 31 durchgeführten Studien vorlagen. Für Reboxetin schließlich meldet das Institut, dass aus den derzeit vorliegenden Daten kein Beleg für einen Nutzen einer Behandlung mit dem Wirkstoff abgeleitet werden könne. Hier hätten nachweislich mindestens 16 Studien an etwa 4.600 Patientinnen und Patienten stattgefunden, Pfizer hätte jedoch nur die Daten von rund einem Drittel der Probanden zur Verfügung gestellt - nach Ansicht des IQWiG nicht genug, um eine valide Einschätzung abzugeben.

"Dass Ergebnisse von Studien nur teilweise veröffentlich werden, ist seit mehr als 20 Jahren als sogenannter Publikations-Bias (engl. für Verzerrung, Schieflage) bekannt", so das IQWiG in einer Stellungnahme. Dabei würden insbesondere "negative" Studien, in denen beispielsweise das eigene Arzneimittel nicht das erhoffte Ergebnis gebracht oder sich sogar als wirkungslos erwiesen hat, erst Jahre später oder gar nicht veröffentlicht werden. Dies habe zur Folge, dass Patienten und Ärzte auf Basis nur der veröffentlichten Berichte ein geschöntes Bild der Effekte erhielten; dies sei nach wie vor eine der wichtigsten und tückischsten Fehlerquellen in der Medizin. "Irreführung durch Verschweigen ist kein Kavaliersdelikt", so Peter T. Sawicki, Leiter des IQWiG. "Durch das Verschweigen von Studiendaten nimmt der Hersteller Patienten und Ärzten die Möglichkeit, sich informiert zwischen verschiedenen Therapieoptionen zu entscheiden", so Sawicki weiter. "Ohne vollständige Information können Patienten im Extremfall sogar nutzlose Behandlungen erhalten. " Es sei bereits für mehrere Wirkstoffe zur Behandlung von Depressionen gezeigt worden, dass die Wirkung in der publizierten Literatur um bis zu 70, im Mittel 30 Prozent überschätzt wurde.

Besonders tückisch sei dabei, dass Ärzte und Forscher häufig nicht von unveröffentlichten Studien wüssten. Um Abhilfe zu schaffen, hätte das IQWiG mit dem Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) bereits 2005 eine grundsätzliche Einigung zur Übergabe solcher Daten vereinbart, darüber hinaus existiere eine Selbstverpflichtung der internationalen Pharmaverbände zur Offenlegung klinischer Studiendaten aus dem gleichen Jahr. Angesichts des aktuellen Falles und vergleichbaren Situationen in der Vergangenheit sei jedoch klar, dass freiwillige Lösungen nicht ausreichten. "In den USA ist diese Verpflichtung seit 2008 klar gesetzlich umgesetzt", sagt Sawicki. "Wir brauchen schnellstmöglich eine vergleichbar konkrete und transparente Umsetzung für Europa."

Pfizer wies die Vorwürfe unmittelbar nach Bekanntwerden als überzogen und nicht nachvollziehbar zurück. "Wir haben dem IQWiG ausreichend Daten zur Verfügung gestellt, diejenigen Daten, die sich aus unserer Sicht für eine Nutzenbewertung von Edronax® auch im Vergleich zu anderen Arzneimitteln eignen", heißt es in einer Pressemeldung. "Eine Verpflichtung, für das Institut alle verfügbaren Daten zusammenzutragen, besteht nicht und ergibt sich auch nicht aus der mit dem IQWiG abgeschlossenen Vereinbarung, die nicht das "ob", sondern das "wie" der Zurverfügungstellung vertraulicher Daten betrifft." Ein Zurückhalten von Studiendaten zum Nachteil von Ärzten und Patienten könne das Unternehmen nicht erkennen.


Tarja Wündrich