Gesundheitspolitik

David gegen Goliath

Zur Rolle der Banken in der AvP-Insolvenz

Nachdem die AvP Deutschland GmbH (AvP) im September Insolvenzantrag gestellt hatte, ist die Verunsicherung bei vielen betroffenen Apotheken groß. Die öffentliche Diskussion konzentrierte sich bislang hauptsächlich auf einzelne unter­schied­liche Vertragsgestaltungen und die daraus folgenden Konsequenzen für sog. Aussonderungsrechte an Rezepten und Kontoguthaben, die keine ver­allgemeinernden Aussagen zuließen. Der nachfolgende Beitrag lenkt den Blick auch auf das Verhalten der Banken und damit auf das größere Ganze.

Gesetzlich Versicherte erhalten in Apotheken Arzneimittel, indem sie ihr vom Arzt ausgestelltes Muster 16 abgeben. Mit der Aushändigung des Arzneimittels entsteht eine Forderung der abgebenden Apotheke gegenüber der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse. Diese Forderungen werden nahezu durchgängig auf der Basis von Abrechnungsverträgen über Abrechnungszentren wie die AvP, denen die Rezepte übergeben werden, gegen Gebühr abgewickelt.

Abrechnungsverträge mit Treuhandcharakter

Die Abrechnungsverträge begründen ein sog. Treuhandverhältnis. Dass möglicherweise unterschiedliche Abrechnungsver­träge mit unterschiedlichen AGB existieren, wirkt sich auf den grundsätzlichen Treuhandcharakter der Abrechnungsverträge nicht aus. Vereinfacht ausgedrückt, verlangt eine Treuhand nur, dass der Treuhänder (AvP) im Verhältnis zu Dritten eine stärkere Position hat, als ihm im Verhältnis zum Treu­geber (Apotheken) eigentlich zusteht. Das ist bei Rezeptabrechnungs­verträgen immer der Fall.

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David schlug Goliath mit einfachen Mitteln. Im Fall AvP könnten Banken mächtige Gegner der Apotheken sein. Bleibt die Frage, was als Stein dienen kann.

Der Treuhandcharakter ergibt sich in Bezug auf die Abrechnungszen­tren schon aus dem Geschäfts­modell als solchem, das für alle beteiligten Apotheken, Kostenträger und auch Banken offenkundig ist – und zwar unabhängig davon, auf welche rechtliche Konstruktion zur Umsetzung letztlich zurückgegriffen wurde (z. B. Inkassomandat, Inkassozession oder „unechtes“ Factoring). Die juristischen Feinheiten sind zwar spannend, aber insoweit nicht von Interesse. AvP durfte gegenüber den Apotheken über abgetretene Forderungen oder eingezogene Beträge nicht nach Belieben verfügen. Es spielt deshalb keine entscheidende Rolle, ob die Apotheken ihre Rezeptforderungen mit Übergabe der Rezepte an AvP an diese abgetreten haben oder ob die Rezeptforderungen weiter bei den Apotheken verblieben sind. Sofern es in Abrechnungsverträgen heißt, dass AvP abgetretene Forderungen im eigenen Namen auf fremde Rechnung einzieht, bestätigt das den Treuhandcharakter des Geschäftsmodells lediglich einmal mehr. Anders wäre das nur, wenn die Abrechnungsverträge ein sog. echtes Factoring wären. Das scheidet aber aus einer Vielzahl von Gründen aus.

Einge­lagerte Rezepte können herausgefordert werden

Der Treuhandcharakter der Abrechnungsverträge führt dazu, dass die Apotheken zumindest diejenigen Rezepte herausverlangen können, die sich bei AvP befinden und noch nicht gegenüber den jeweiligen Kostenträgern abgerechnet wurden. Grund hierfür ist, dass die eingelagerten Rezepte und die ihnen zugrunde liegenden Rezeptforderungen vom Treuhandcharakter der Abrechnungsver­träge erfasst werden. Da sie aufgrund der Institutskennzeichen (IK) den einzelnen Apotheken zweifelsfrei zugeordnet werden können, ist ­eine Vermischung von Fremdvermögen und Vermögen der AvP ausgeschlossen. Das Herausgaberecht der Apotheken besteht schon jetzt. In einem späteren Insolvenzverfahren wird dieses Herausgaberecht nur als Aussonderungsrecht bezeichnet.

Sofern AvP Rezeptforderungen gegenüber den Kostenträgern eingezogen hat, ohne dass den Apotheken die Beträge weitergeleitet wurden, stellt sich die wichtige Frage, ob Apotheken auf diese Gutschriften in der Insolvenz über ein sog. Aussonderungsrecht vorrangig zugreifen dürfen. Im Grundsatz unterliegen diese Gutschriften – wie zuvor schon die Rezepte – ebenfalls der treuhänderischen Bindung. Sie sind zunächst den Apotheken wirtschaftlich zuzurechnen. Dem steht nach Auffassung der Rechtsprechung auch nicht entgegen, wenn die Verrechnungskonten nicht als offene Treuhandkonten geführt bzw. ausgewiesen sind. Man sollte an dieser Stelle nicht vergessen, dass das Geschäftsmodell ohnehin offenkundig auf die Abwicklung von Fremdgeldern ausgerichtet ist (§ 300 Abs. 2 SGB V). Insbesondere den finanzierenden Banken ist das bestens bekannt. Ob die Verrechnungskonten für jede Apotheke einzeln oder für eine Vielzahl von Apotheken gemeinsam geführt wurden („Sammeltreuhandkonten“), wird die Einordnung als bevorzugt zu behandelnde Fremd­gelder der Apotheken kaum beeinflussen können. Von Bedeutung könnte allenfalls sein, ob fremdes von eigenem Vermögen der AvP ausreichend getrennt wurde. Das ist eine Wertungsentscheidung, die einen aufgeklärten Sachverhalt verlangt. Eine Vermischung allein von Fremdvermögen („Sammeltreuhand“) betrifft dagegen ­allenfalls die Apotheken untereinander. Weshalb andere Gläubiger der AvP davon profitieren sollten, ist nicht recht erkennbar.

Viele Fragen zu den ­finanzierenden Banken

In der öffentlichen Diskussion wurde die Rolle der finanzierenden Banken bisher nur am Rande beleuchtet. Da das Geschäftsmodell von AvP auch Vorschusszahlungen an Apotheken enthält, besteht für AvP ein Finanzierungsbedürfnis der zu leistenden Vorschusszahlungen. Es ist schon publik geworden, dass AvP einen sog. Konsor­tialkredit von vier Banken genutzt hat. Bei einem Konsortialkredit bündeln sich mehrere Kreditgeber, teilen quasi die Risiken in bestimmten Quoten. Der Kredit selbst wird dann – abhängig von der einzelnen Gestaltung – zentral über eine sog. „Agency“ verwaltet, ggf. aber auch über sog. Abzweiglinien auf Konten der jeweils beteiligten Banken bereitgestellt.

Da die Kreditgewährung der Banken üblicherweise nur gegen Stellung von Sicherheiten erfolgt, ist aufgrund der von AvP verwendeten AGB nicht ausgeschlossen, dass die Rezeptforderungen zur Besicherung des Konsortialkredits an die (Konsortial-)Banken weiter abgetreten wurden. Das führt zu einer Vielzahl von rechtlichen Fragestellungen. Beispielsweise erfolgt bei einem Konsortialkredit häufig die Sicherheitenstellung nur an eine der beteiligten Banken, den sog. Sicherheitentreuhänder. Es muss dann sauber rechtlich vorgegangen werden, weil die einzelnen Banken die Sicherheiten nicht direkt halten. Allein das kann Angriffspunkte gegen eine wirksame Sicherheitenbestellung bieten. Hinzu kommen bei Rezeptforderungen datenschutzrechtliche Aspekte. Es muss ausgeschlossen werden, dass die Banken über Sicherungsabtretungen an die sensiblen Gesundheitsdaten der Patienten gelangen. Berücksichtigen das die Verträge nicht, ist die Sicherheitenstellung ggf. unwirksam.

Haben die Banken ihren Wissensvorsprung ausgenutzt?

Bemerkenswert scheint im AvP-Fall die Vorgehensweise der Banken zu sein. Es verdichten sich die Anzeichen dafür, dass die Banken ihre Kreditlinien gerade in dem Moment kündigten, als so viel (Abschlags-)Zahlungen der Kassen bei AvP eingegangen waren, dass die Kredit­linien zurückgeführt waren. Wäre das so gewesen, könnte man auch reißerisch davon sprechen, dass sich die Banken unter Ausnutzung ihres Wissensvorsprungs vorab auf Kosten anderer Gläubiger befriedigt haben. Belohnenswert wäre das nicht. Und es finden sich auch sehr gute Argumente dafür, dass ein solches Verhalten einer Überprüfung durch die Rechtsprechung nicht standhalten würde. Vergleichbar wäre das mit den in der Rechtsprechung schon lang entschiedenen Fällen, bei denen in einem Insolvenzverfahren Lieferanten des insolventen Unternehmens mit Banken konkurrieren, die sich Forderungen des Unternehmens, die diese unter Verwendung der von den Lieferanten gelieferten Waren erhalten haben, über eine Globalzession als Sicherheit haben abtreten lassen. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs häufig unwirksam, jedenfalls dann, wenn die Lieferanten nicht wirksam in die Zession „ihrer“ Forderungen an die Banken eingewilligt haben. Solche „Einwilligungen“ bzw. „Einwilligungsversuche“ sehen die Vertragsbedingungen von AvP zwar grundsätzlich vor. Allerdings bestehen begründete erhebliche Zweifel, dass diese formularmäßig eingeholten „Einwilligungen“ wirksam sind. Im Übrigen enthalten viele Vertragsfassungen schon gar keine Einwilligung zur Weiterübertragung der Forderungen zur Absicherung eines nicht speziell zur Vorfinanzierung der Abschlags­zahlungen an den jeweiligen Apotheker auf­genommenen Kredits.

Zu alledem kommt noch hinzu, dass der Insolvenzverwalter sehr sorgfältig wird prüfen müssen, ob die Befriedigung der Rückzahlungsforderungen der Banken aus den offenen Kreditlinien durch Zahlung der Kostenträger auf die Rezeptforderungen nicht insolvenz­rechtlich anfechtbar ist.

Festzuhalten bleibt, dass vieles auf eine Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen hinauslaufen könnte. Den Apotheken auf der einen Seite, die Aussonderungsrechte an den für sie gezahlten Guthaben geltend machen, und den die AvP finanzierenden Banken auf der anderen Seite, die sich wohl aus den Kassenzahlungen vorab befriedigt haben. |

Dr. Christian Gunßer & Dr. Damian Schmidt, Oppenländer Rechtsanwälte, Stuttgart

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