Macht TTIP Medikamente teurer?

„Big Pharma“ will den Freihandel

Frankfurt/Berlin - 19.06.2015, 14:30 Uhr

Welche Auswirkungen hätte TTIP auf die Medikamentenpreise in der EU? (Foto: Maksym Yemelyanov/Fotolia)

Welche Auswirkungen hätte TTIP auf die Medikamentenpreise in der EU? (Foto: Maksym Yemelyanov/Fotolia)


Es wird heftig darüber gestritten, aber worum es genau geht, wissen die wenigsten: Die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA sind ein politisches Reizthema mit vielen Unbekannten. Trotzdem stemmen sich Industrievertreter vehement gegen die Kritik von TTIP-Gegnern. Auch die Pharmabranche macht sich für das Abkommen stark. Unklar ist allerdings, wer hier von einer umfassenden Freihandelsvereinbarung mehr profitieren würde – Patienten oder Konzerne.

Der Arzneimittel- und Medizinproduktesektor ist ein wichtiger Bereich für den bilateralen Handel: 13 Prozent des EU-Arznei-Imports stammen aus den USA, knappe elf Prozent des US-Imports aus der EU. Im Medizinproduktebereich sind es acht bzw. vier Prozent. Doch worum geht es bei TTIP für die Pharmaindustrie? Die Unternehmen wollen Doppelarbeit bei der Zulassung von Medikamenten reduzieren. Auch sollen in Herstellungsbetrieben die Kontrolleure aus USA und EU nicht nacheinander anrücken müssen, um die gleichen Dinge zu prüfen. Beide Punkte sind Forderungen der Pharmaindustrie – und beide nimmt die EU mit in die TTIP-Verhandlungen. Sie stehen in den Strategiepapieren der Staatengemeinschaft.

„Dieses Abkommen ist für Europa, besonders Deutschland, eine große Chance“, sagt Merck-Chef Karl-Ludwig Kley. Unternehmen wie Merck würden von harmonisierten Regeln profitieren und Verbraucher würden durch niedrige Preise Geld sparen. Doch sicher ist das nicht. Es gibt Experten, die genau das Gegenteil befürchten, denn Arzneipreise werden unterschiedlich festgesetzt. „In Europa herrscht ein deutlich größerer Kostendruck“, erklärt Afschin Gandjour, Professor für Gesundheitsökonomie an der Frankfurt School of Finance. Hier müsse in der Regel der Zusatznutzen neuer Medikamente nachgewiesen werden, damit die Krankenkassen einen höheren Preis als für das alte Mittel zahlen. Studien müssten entsprechend ausgerichtet sein. In den USA könnten Pharmakonzerne den Preis dagegen weitgehend selbst festlegen – überwiegend orientiert am Markt.

Sinkende und/oder steigende Kosten?

Würde die EU hier auf die USA zugehen, dürfte es laut Gandjour schneller gehen, bis Patienten ein neues Medikament erstattet bekommen, aber es würden auch mehr Schein-Innovationen auf den Markt kommen. Jörg Schaaber von der industriekritischen BUKO Pharma-Kampagne warnt: „Unsere Befürchtung ist, dass es schwieriger wird, unsinnige oder weniger wirksame Produkte von der Erstattung auszuschließen.“ Die konkreten Folgen eines TTIP-Abkommens abzuschätzen, ist jedoch schwierig. Zu wenig haben die Verhandlungspartner bislang zu den Inhalten der Gespräche veröffentlicht. Klar ist: Die EU und die USA wollen Standards angleichen. Geredet wird vor allem von der Arzneimittel-Zulassung und damit von Studien, die die Sicherheit und Wirksamkeit der Produkte belegen.

Geprüft werden diese Studien von den jeweiligen Gesundheitsbehörden, schon jetzt nach recht ähnlichen Kriterien. Die meisten in den USA zugelassenen Medikamente kommen schon heute auch in Europa auf den Markt und umgekehrt. An diesen Sicherheitsstandards wollen die Pharmaunternehmen nicht rütteln, heißt es in einem Papier des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen (vfa). Der Branche geht es vor allem um die Angleichung von Details. Um welche genau, dazu macht der Verband keine Angaben. Die Unternehmen erhoffen sich jedenfalls Einsparungen im teuren Zulassungsprozess. Ökonom Gandjour hält es jedoch für unwahrscheinlich, dass Einsparungen an die Versicherten weitergegeben würden: „Insgesamt würden die Kosten für das Gesundheitssystem wohl steigen.“

Hauptstreitpunkt Schiedsgerichte

Zu den größten Reizwörtern in der öffentlichen Debatte zählen Schiedsgerichte. Auch für die Pharmabranche könnte ein solches Kapitel zum Schutz von Investitionen im TTIP-Vertrag neue Klagemöglichkeiten eröffnen. Zwischen Kanada und dem US-Konzern Eli Lilly etwa wird derzeit unter dem Dach des amerikanisch-kanadischen Freihandelsabkommens so ein Streit ausgetragen. Das Unternehmen fordert 500 Millionen kanadische Dollar Schadenersatz vom Staat, weil kanadische Gerichte Patente des Konzerns kassierten. Die Parteien streiten darüber, ob zwei Medikamente tatsächlich Innovationen sind und deshalb einen entsprechenden Patentschutz bekommen müssen.

„Wenn das auch in Europa möglich wird, kommen unkalkulierbare Kosten auf die Haushalte und damit die Bürger zu“, warnt Schaaber von BUKO-Pharma. Ob es am Ende so kommt, ist nach wie vor offen: Was am Ende tatsächlich bei den Verhandlungen herauskommt, wissen bislang weder die Befürworter noch die Gegner von TTIP. In Europa streiten Politiker noch darüber, ob Schiedsgerichte im TTIP-Vertrag überhaupt verankert werden sollen. In Deutschland haben sich die Wirtschaftsminister der Länder indes bei ihrer Frühjahrskonferenz in Hamburg einstimmig für das Freihandelsabkommen ausgesprochen – allerdings unter Auflagen, auch was die Schiedsgerichte angeht.


dpa / DAZ.online
redaktion@daz.online


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