Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

20.12.2014, 08:00 Uhr


Wenn sich der Weihnachtsmann hinter Hecken versteckt, dann ist was im Busch. In der letzten Woche war’s soweit. Bürokratie und mehr. Ohne Not trat die Substitutionsausschlussliste des G-BA in Kraft. Sie sorgte für bürokratische Wirbel in Apotheken. Und still ruhten nicht nur der See, sondern zahlreiche Arzneimittelzulassungen – oder auch nicht: Die tägliche Hitliste des BfArM gehört mittlerweile zur Frühstückslektüre des Apothekers. Und weil’s bald Weihnachten ist: Ein gar netter Hinweis von BKKs, dass ab Januar kräftig retaxiert wird, wenn gegen Rabattverträge verstoßen wird. Oh, danke schön, süßer die Kassen nie klingen als zur Weihnachtszeit. Mein liebes Tagebuch, ist er nicht schön, der Apothekerberuf?

15. Dezember 2014

Man kam ja schier nicht nach mit dem Kontrollieren: Gefühlt jede Stunde klopfte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine neue Liste raus mit Arzneimitteln, deren Zulassung wegen mangelhafter Arzneimittelstudien aus Indien ruhte. Mittlerweile war die Liste auf  nur noch 39 Zulassungen geschrumpft, die nicht mehr verkehrsfähig sein sollen. Der Deutsche Apothekerverband informierte, was zu tun ist, wenn ein Arzneimittel verordnet wurde, das wegen des Ruhens der Zulassung nicht mehr abgegeben werden darf. Mein liebes Tagebuch, was uns Apothekers da zugemutet wird, ist schon enorm: ein fein abgestuftes Abgabeprocedere im Wirrwarr von Aut-idem-Regelung, Rabattverträgen, Sonderkennzeichen bis hin zum Arztkontakt. So haben wir uns unseren Apothekerberuf schon immer vorgestellt: der Ritt durch die Bürokratie.

16. Dezember 2014

Das Deutsche Apothekenportal hat zum Glück mehr Übersicht ins Listenwirrwarr gebracht und das ganze Hin und Her in drei übersichtliche Listen gepackt. Die Liste 1 beinhaltet eine Aufstellung der nicht verkehrsfähigen Arzneimittel mit PZN. In Liste 2 werden die nach eingelegtem Widerspruch des Herstellers vorläufig wieder verkehrsfähigen Präparate aufgeführt. Und in der dritten Liste finden sich Arzneimittel mit ruhender Zulassung ohne PZN. Diese sind zwar für den deutschen Markt zugelassen, sind aber in Deutschland nicht in Vertrieb.

Weil’s so schön ist – wir bleiben bei unserem mittlerweile wichtigsten Arbeitsgebiet in der Apotheke: Bürokratie. Da kommen im neuen Jahr die neuen BtM-Rezeptformulare auf uns zu: Ab 8. Januar 2015 dürfen nur noch die neuen BtM-Rezepte beliefert werden. Und gleich ab 1. Januar gilt: nur noch die elektronische Gesundheitskarte mit Bild ist gültig (außer bei Kindern bis 15 und Versicherten, die bei der Erstellung des Fotos nicht mitwirken können, weil sie zum Beispiel immobil sind). Kann der Patient beim Arzt die neue Karte nicht vorlegen, muss er ein Privatrezept ausstellen.

Noch ein Service vom Deutschen Apothekenportal: eine Liste mit den einzelnen Arzneimitteln, für die ein Austauschverbot besteht. Die Substitutionsausschlussliste kam ja quasi über Nacht, unverzüglich, ohne Übergangsfrist, und gilt ab 10. Dezember. In der Apothekensoftware ist sie voraussichtlich erst ab Januar abgebildet.  Mein liebes Tagebuch, da sind wir gespannt, wann es die ersten Retaxfälle gibt, weil Apotheken ausgetauscht haben, obwohl der Stoff in der Liste steht.

Hecken und Apotheker – das wird nichts mehr in diesem Leben. Hecken, der 2006 als saarländischer Justizminister für die erste Fremdbesitzapotheke in Deutschland sorgte und heute als unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) dafür verantwortlich ist,  dass die Substitutionsausschlussliste in Bundesanzeiger veröffentlicht wurde und sofort, unverzüglich in Kraft trat, kann (oder will?) sich einfach nicht an apothekerliche Usancen halten. Mein liebes Tagebuch, es hätte keinem geschadet, wenn er die Liste veröffentlicht hätte mit dem Zusatz: Inkrafttreten am 1. Januar 2015. Eile war bei dieser Liste nun wirklich nicht geboten. Aber nein, es musste sofort sein, meinte Hecken. Und damit hat er den Apotheken willentlich Mehrarbeit, Chaos und Ärger aufgebrummt. Wenn nämlich solche Listen nicht in der Apotheken-EDV abgebildet sind, hat die Apotheke ein Problem. Stattdessen posaunt Hecken herum, er könne die Apothekerkritik nicht nachvollziehen und die Apotheker würden ohne Not ihre Patienten verunsichern.  Mein lieber Herr Hecken, Sie wissen doch, im Prinzip machen wir Apotheker alles, aber wirklich alles möglich. Aber, falls es Ihnen entgangen sein sollte:  Heute läuft alles, wirklich alles über so graue Kästen mit Bildschirm. Und wenn Ihre feine Liste da nicht aufleuchtet wie der Stern über Bethlehem, dann haben wir ein Problem. Also, die Liste erst in Kraft treten lassen, wenn vorher Zeit war, sie in die Software einzupflegen, ja? Das meinen wir mit unserer Kritik. Ist das so schwer zu verstehen?

17. Dezember 2014

Der Apothekenversandhandel wird mehr und mehr zum OTC-Versender und wächst auf diesem Gebiet. Rx-Arzneimittel spielen kaum noch eine Rolle. Ja, mein liebes Tagebuch, der Versandhandel ist das Arzneimittel-Selbstbedienungsregal der Nation. Was der Apotheke vor Ort nicht erlaubt ist, nämlich Apothekenpflichtiges in der Freiwahl anzubieten, präsentiert sich dem Kunden zur Selbstbedienung auf der Website der Versandapo. Klick, schon liegt’s im Warenkorb. Und von wegen Beratung – da passiert nix. Fünf Nasensprays, drei Schmerzmittel und drei Schlafmittel – wird geliefert, ohne Anruf, ohne Begleitzettel, ohne Einschränkung. Und der Versandhandel wächst und wächst. Alles prima, oder?

Das gehört auch in die Kategorie „Pharmazie, die Freude macht“: Substitutionsausschlussliste und Rabattverträge können schon mal miteinander kollidieren. Und dann? Viele Patienten sind nämlich auf die Rabattarzneien eingestellt. Aber wenn der Arzt nicht genau dieses Präparat verordnet, wird es schwierig, da ein Austausch nicht erfolgen darf. Apotheke und Patient sind also im Regelfall gefordert, ein neues Rezept zu organisieren. Immerhin erklärt die AOK Baden-Württemberg, sie werde es nicht beanstanden, wenn Apotheken ihre AOK-Versicherten mit rabattierten Arzneimitteln weiterversorgen. Jetzt zieht auch die TK nach und erklärt, nicht zu retaxieren, Hauptsache ein  Rabattarzneimittel wird abgegeben. So richtig befriedigend ist die Situation dennoch nicht: Was machen die anderen Kassen?

18. Dezember 2014

Auch das ein Beweis, es war die Woche der Bürokratie: Mit Veröffentlichung einer entsprechend aktualisierten BfArM-Liste vom 18. Dezember 2014, Stand 15:00, Uhr durfte das Präparat Tacpan wieder in allen Dosierungsstärken abgegeben werden. Für dieses Präparat hatte das BfArM zuvor das Ruhen der Zulassung wegen mangelhafter indischer Studien angeordnet. Es durfte jedoch bald wieder in Verkehr gebracht werden, weil die Firma Rechtsmittel eingelegt hatte. Die Informationsaufarbeitung seitens des BfArM war allerdings in den Augen der Apotheker wenig professionell. Und es geht so weiter. Mittlerweile muss man schon täglich nachsehen, welches Präparat neu dazu kommt oder von der Liste verschwindet.

19. Dezember 2014

Weiter in der Abteilung Bürokratie: Apotheken müssen die Durchschriften von T-Rezepten künftig wöchentlich statt bisher vierteljährlich an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) übermitteln. Hat der Bundesrat in seiner letzten Sitzung  beschlossen, mit der die Arzneimittelverschreibungsverordnung  geändert wurde. Außerdem werden Apotheken verpflichtet, das Versanddatum der Durchschriften von T-Rezepten zu dokumentieren, um den Nachweis der fristgerechten Übersendung an das BfArM zu erbringen. Das einzig Positive: Künftig muss der Arzt eine Telefonnummer zur Kontaktaufnahme auf der Verordnung angeben.

Ich liebe sie, unsere Betriebskrankenkassen mit ihrem Zerberus Protax plus! Zwölf von den BKKs haben ab Januar verschärfte Retaxationen bei Abgabe-Verstößen gegen geltende Rabattverträge angekündigt. Der Dienstleister Protax plus sei angewiesen worden, Verstöße von Apotheken gegen die Abgabeverpflichtung  von Rabattarzneimitteln zu beanstanden. Na wunderbar, da kommt Festtagslaune auf! Die BKKs berufen sich auf die klare Rechtslage: Ist ein Rabattarzneimittel verordnet, muss es abgegeben werden, sonst Retax auf Null. Mein liebes Tagebuch, ja, ja, ist ja gut. Hat sich ja mittlerweile herumgesprochen. Nur, der Ton, wie das alles kommuniziert wird, hört sich wenig partnerschaftlich an. Umso mehr wird es Zeit, dass GKV und Apothekerverband Regelungen finden, damit nicht bei jedem belanglosen Pipipax-Formfehler die Retaxkeule herausgeholt wird.

Von Ärzten kann man nur lernen, mein liebes Tagebuch. So bieten manche Doctores ihren lieben Patienten seit geraumer Zeit eine „Komfortsprechstunde“ an – „eine besondere, speziell auf Ihre Wünsche zugeschnittene Sprechstunde“. Vor allem die Termine werden so gestaltet, dass „eine effektive Zeitplanung möglich und der Praxisaufenthalt so kurz wie nötig ist“. Und das Schönste an der Komfortsprechstunde: Der Kassenpatient muss nicht sechs oder acht Wochen auf seinen Termin warten, sondern kann meist nach wenigen Tagen zur Komfortsprechstunde kommen. Versteht sich, dass „diese Sprechstunde zu den besonderen Leistungen des Arztes“ gehört, „die nicht von Ihrer gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden“, wie es auf einer Website eines solchen Arztes heißt. Ach so. Und was kostet diese Leistung? Na ja, zwischen 40 und 90 Euro muss der Kassenpatient für diesen Komfort schon aus eigener Tasche drauflegen. Oder er wartet drei Monate auf seinen Termin. Vor allem Augenärzte, Orthopäden und Gynäkologen sind bei diesen Komfortsprechstunden am Abkassieren. Mein liebes Tagebuch, der ärztlichen Geldgier sind keine Grenzen gesetzt. Wie wär's mit einer neuen Idee: die "Apotheker-Komfortsprechstunde" – natürlich gratis?

Mutmaßlich auch wg. Geldgier versuchte das Abmahn-Duo Becker-Wagner zahlreiche Apotheken abzuzocken. Diesen Coup hätten die Beiden mal lieber bleiben lassen. Rechtsanwalt und Apotheker hatten in der Vorweihnachtszeit Abmahnungen an Apotheken verschickt wegen angeblicher Fehler auf den Websites. Jetzt könnte der Schuss nach hinten losgehen. Allein über den von apotheken.de eingeschalteten Rechtsanwalt Timo Kieser wurden 75 Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft Leipzig gegen beide erstattet. Vorgeworfen wird ihnen (versuchter) gewerbsmäßiger Betrug, (versuchte) Nötigung sowie (versuchte) Gebührenüberhebung. hat Der vom Deutschen Apotheker Verlag beauftragte Anwalt Timo Kieser hat außerdem die Rechtsanwaltskammer Sachsen darum gebeten, berufsrechtliche Maßnahmen gegen Becker einzuleiten. Mein liebes Tagebuch, fraglich, ob dem Duo noch nach Apfel, Nuss und Mandelkern zumute ist.

Ihr Lieben, die Ihr gerne in meinem Tagebuch blättert, lest und kommentiert: Danke, dass Ihr mit mir durch die Höhen und Tiefen eines heißen pharmazeutischen Jahres gegangen seid. Ein frohes Weihnachtsfest!
Und alle, denen in den kommenden Weihnachtstagen ein Nacht- und Notdienst bevorsteht, haben beim Christkind einen Extra-Wunsch frei. Ihr dürft ihn gerne hier ins Tagebuch schreiben. Übrigens, meinen Wunschzettel ans Christkind findet Ihr in der AZ am Montag. 


Peter Ditzel


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