Kommentar zum Sachverständigen-Gutachten

Die Rückkehr der „mittelalterlichen Zünfte“

Stuttgart - 24.06.2014, 17:15 Uhr


Das Argument, die heutige Apothekenstruktur in Deutschland sei ein Ausdruck mittelalterlichen Standesdenkens und vom Zunftgedanken geprägt, schien eigentlich vom Tisch. Doch nun hat der Sachverständigenrat es wiederbelebt. Die Vorschläge in seinem aktuellen Gutachten atmen den überwunden geglaubten Geist der Deregulierung. Ein Kommentar von Benjamin Wessinger.

Die Argumentation klingt seltsam vertraut: Das deutsche Apothekensystem sei verkrustet und strukturell unmodern. Man hörte diese Vorwürfe zu den Hochzeiten des Deregulierungsbooms zu Beginn dieses Jahrhunderts (vielleicht nicht ganz zu Unrecht auch „Nuller-Jahre“ genannt) öfters. Nun sind sie wieder da, selbst der unsägliche Begriff der „mittelalterlichen Zunftstrukturen“ fehlt nicht. Nur als „Relikt“ eben dieser Strukturen könne man das Fremd- und Mehrbesitzverbot verstehen, schreibt der Sachverständigenrat für die Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem aktuellen Gutachten. Weder ordnungs- noch versorgungspolitisch sei diese Regelung zu begründen – und gehöre deshalb abgeschafft.

Dabei hatten die Apotheker doch gedacht, wenigstens an dieser Front herrsche endlich Ruhe, nachdem sogar die Grünen ihre Deregulierungspläne (vorerst?) ad acta gelegt hatten. Nicht nur das EuGH-Urteil zum Fremdbesitz hatte dazu geführt. Vielmehr war der gesellschaftliche Trend gekippt: Zu deutlich hatte sich gezeigt, dass Deregulierung kein Allheilmittel ist, dass es durchaus sinnvoll und notwendig ist, manche Sektoren der Wirtschaft zu regulieren (oder sogar der öffentlichen Hand zu überlassen).

Kommen die Apologeten eines entfesselten Marktes nun wieder aus ihren Löchern gekrochen, in die sie sich nach der Bankenkrise zurückgezogen hatten? Der sich immer stärker formierende Widerstand gegen das geplante Freihandelsabkommen mit den USA gibt zumindest Anlass zu der Hoffnung, dass sie es nicht leicht haben werden. Gerade bei Gesundheits- und Verbraucherschutz-Themen scheint die Sympathie für nationale Regulierungen deutlich ausgeprägter als die für internationale Konzerne. Doch das Gutachten zeigt deutlich, dass wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen sollten.


Dr. Benjamin Wessinger


Das könnte Sie auch interessieren

Substitutionsausschlussliste

Hess: Kein Treffen mit Gutachtern

Verfassungsrechtler di Fabio hat sich mit dem Rx-Versandverbot beschäftigt – im Auftrag der ABDA

Das Gutachten in der Schublade

Dr. Rainer Hess lässt Gemeinsamen Bundesausschuss ran

Aut-idem-Liste: Schiedsverfahren auf Eis

ABDA erklärt sich erneut zur Bühler-Petition

Schmitz: Beschlusslage verbietet Herausgabe der Gutachten