Stratifizierte Medizin

Glaeske kritisiert Gentests aus der Apotheke

Berlin - 02.04.2014, 14:43 Uhr


Die Erwartungen an die „personalisierte“ oder „stratifizierte“ Medizin sind groß: Bekommen Patienten künftig eine maßgeschneiderte Therapie, weil schon im Vorfeld herausgefunden werden kann, ob ein Arzneimittel überhaupt bei ihnen anschlägt? Grundsätzlich ist die Idee gut – doch noch steht die Entwicklung am Anfang. Vor allem die Tests werden immer wieder kritisiert, weil sie nicht der evidenzbasierten Medizin genügten. Mit besonderem Argwohn betrachtet Prof. Dr. Glaeske den wachsenden Markt an Gendiagnostik-Tests in Apotheken.

Zum zweiten Mal stellte die Techniker Krankenkasse heute ihren „Innovationsreport“ vor – eine „wissenschaftliche Studie zur Versorgung mit innovativen Arzneimitteln“ und „Analyse von Evidenz und Effizienz“, so der Untertitel. Erstellt wurde sie von Mitarbeitern des Zentrums für Sozialpolitik an der Universität Bremen – Gerd Glaeskes Wirkstätte.

Der Report, der in erster Linie die neuen Arzneimittel des Jahres 2011 unter die Lupe nimmt, enthält auch ein Spezialkapitel zu den Potenzialen und Grenzen der stratifizierten Medizin. Schon die geläufigere Bezeichnung „personalisierte Medizin“ ist für viele Fachleute „irreführend“. So auch für Prof. Dr. Wolf-Dietrich Wolf, den Vorsitzenden der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Maßgeschneidert seien solche Therapien nicht. Und der Patient stehe auch nicht im Mittelpunkt. Als Onkologe sieht Ludwig zwar durchaus die Chancen der stratifizierten Medizin – eine zielgerichtete Therapie ist hier zweifelsohne wünschenswert – aber der Weg dorthin müsse von seriöser wissenschaftlicher Forschung geleitet sein. Ob die jeweils gewählten Biomarker wirklich sinnvoll seien, müsse in großen prospektiven Studien erwiesen werden; validierte Tests seien dringend nötig. Doch bislang gebe es nur kleine Fortschritte, so Ludwig. Zudem räumt er ein, dass viele Ärzte ihre Patienten nicht richtig über die Bedeutung solcher Tests informierten.

Glaeske sieht daher nicht zuletzt die in Apotheken und über das Internet rezeptfrei verkauften Diagnostiktests kritisch. Das erklärte Ziel dieser pharmakogenetischen Testkits ist, die Arzneimittelsicherheit und -wirksamkeit zu erhöhen. Doch Glaeske ist überzeugt, hier werde ein positiver Eindruck vermittelt, der sich nicht halten lässt. Auch er vermisst aussagekräftige prospektive Studien zu diesen Tests, die patientenrelevante Endpunkte untersuchen. Zudem sei das Zusammenspiel von Genen, Umwelteinflüssen und Arzneimitteln noch nicht ausreichend untersucht. Einen routinemäßigen Einsatz dieser Tests – die immerhin bis zu 400 Euro kosten – kann er daher ganz und gar nicht empfehlen. Statt etwa die Therapiesicherheit einer Antibabypille zu überprüfen, sollten Frauen lieber gleich auf die sichereren Pillen der zweiten Generation zurückgreifen.


Kirsten Sucker-Sket