Arzneimitteltests in der DDR

Spiegel: Bürger verkauft und Land prostituiert

Berlin - 13.05.2013, 11:59 Uhr


Westliche Pharmakonzerne sollen in ostdeutschen Kliniken hunderte Arzneimittelstudien an über 50.000 Patienten in Auftrag gegeben haben – oft ohne Wissen der Probanden. Das berichtet der „Spiegel” und beruft sich auf bislang unbekannte Akten aus medizinischen Privatarchiven, aus Beständen des DDR-Gesundheitsministeriums und der Stasi.

Dem Bericht zufolge waren seitens der Industrie viele namhafte  Unternehmen beteiligt, wie Bayer, Schering, Hoechst, Boehringer, Pfizer, Sandoz und Roche. „Die Unternehmen verabreichten alles, was ihre Forschungslabors hergaben“ – auch Stoffe mit noch unbekannter Wirkung. Jenseits der Mauer hätten neben Krankenhäusern in Dresden, Erfurt, Halle, Jena oder Rostock auch international renommierte Universitätskliniken wie die Ost-Berliner Charité zu den Geschäftspartnern gezählt. Ab 1983 soll das DDR-Gesundheitsministerium „wie ein Zuhälter“ die eigenen kranken Bürger verkauft und „das Land als Versuchslabor“ prostituiert haben – für Millionensummen.

Im Moment sei noch unklar, was vor 30 Jahren in der DDR bei Medikamententests geschah und wer daran beteiligt war, betont indes der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) gegenüber DAZ.online. Es seien bereits mehrere wissenschaftliche Projekte zur Aufarbeitung im Gespräch. Um ein Nebeneinanderherlaufen zu verhindern, plädiert der Verband für eine zentrale Federführung der Projekte beispielsweise durch das Bundesinnenministerium. „Wir jedenfalls wollen keine Gefälligkeitsgutachten und halten uns aus dieser Koordinierung heraus.“ Im Anschluss stehe man dann für Gespräche bereit, wie man sich sinnvoll beteiligen könne.

Klinische Studien in der DDR waren in der Bundesrepublik nicht genehmigungs- oder anzeigepflichtig, erklärte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums auf DAZ.online-Anfrage. Eigene Daten lägen dem BMG daher nicht vor. Eine Publikation aus dem Jahr 1991 habe aber Studien westdeutscher Pharmaunternehmen in der DDR näher untersucht und keine relevanten Verstöße gegen geltende Regelungen festgestellt. Das Geld für diese Studien sei aber nicht an die teilnehmenden Ärzte, sondern an die für Deviseneinnahmen zuständigen Stellen geflossen. Wie die damalige Rechtslage in der DDR war, konnte der Sprecher nicht sagen.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat bereits eine Aktuelle Stunde mit dem Titel „Missbräuchliche Medikamentenversuche westdeutscher und schweizerischer Pharmaunternehmen an Menschen in Ostdeutschland“ beantragt. Das „systematische Unterlaufen ethischer und rechtlicher Standards bei Medikamentenversuchen […] muss rückhaltlos aufgeklärt werden“, erklärte Volker Beck. Die Opfer müssten von den Firmen auch entschädigt werden. „Ein solches Outsourcing von Medizinversuchen muss gesellschaftlich geächtet werden.“ Es liege in der Verantwortung von Angela Merkel, das Vorgehen der schwarz-gelben Kohl-Regierung und des DDR-Regimes restlos aufzuklären.

Völlig neu ist das Thema übrigens nicht: Schon im Juni 1991 berichtete der Spiegel über „schmutzige Geschäfte“ des SED-Regimes mit westlichen Pharmakonzernen.


Juliane Ziegler


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