Krebs

„Schicksal“ oder auch selbstverschuldet?

Remagen - 27.01.2015, 14:26 Uhr


Kann der Einzelne wirklich nicht viel tun, damit ihn der Krebs nicht „erwischt“? Eine solche Schlussfolgerung wurde in einem unlängst veröffentlichten wissenschaftlichen Bericht über die Ursachen von Krebs gezogen, der in den Medien einen erheblichen „Widerhall“ ausgelöst hat. In einer Erklärung hat sich auch die Internationale Agentur für die Erforschung von Krebs zu Wort gemeldet: Sie übt harsche Kritik an der Publikation und betont die Wichtigkeit und den Nutzen der Prävention.

Die Studie stellt die Anzahl der Stammzell-Teilungen während der gesamten Lebensdauer für ein breites Spektrum von Geweben dem Risiko gegenüber, irgendwann an Krebs zu erkranken. Aus den Ergebnissen wird abgeleitet, dass zufällige Mutationen („bad luck“) den größten Beitrag zur Entwicklung von Krebserkrankungen leisteten und dass sie häufig wichtiger seien als erbliche oder externe Umweltfaktoren. Für viele Krebsarten befürworten die Autoren eine stärkere Konzentration auf die frühzeitige Erkennung der Krankheit statt der Verhinderung ihres Auftretens.

Gefährliche Auslegung

Diese Auslegung könnte missinterpretiert werden, fürchtet die IARC, und könnte deshalb ernste negative Auswirkungen auf die Krebsforschung und die Perspektiven für die Volksgesundheit haben. Darüber hinaus identifizierten IARC-Experten mehrere Unzulänglichkeiten im Bericht selbst. Zum Beispiel liege die Betonung auf sehr seltenen Krebsarten. Außerdem schließe er wegen des Mangels an Daten häufige Krebsarten aus, und die Studie beschränke sich auf die Bevölkerung der USA.

„Wir wussten bereits, dass dabei, ob jemand an einer bestimmten Krebsform erkrankt, auch der Zufall eine Rolle spielen kann. Das hat aber nichts zu sagen im Hinblick auf das Krebsrisiko in einer Population“, erklärt der Direktor der IARC, Dr. Christopher Wild. „Dass schlichtweg Pech die Hauptursache von Krebs sein soll, ist irreführend, und es lenkt ab von den Bemühungen, die Ursachen der Krankheit zu identifizieren und effektiv zu verhindern.“

Die letzten fünf Jahrzehnte internationaler epidemiologischer Forschung hätten gezeigt, heißt es in der Erklärung, dass viele Krebsarten in verschiedenen Populationen häufig oder auch relativ selten sein können und dass diese Muster über die Zeit hinweg variieren. Oesophagus-Krebs sei beispielsweise unter Männern in Ost-Afrika verbreitet, in Westafrika jedoch selten. Die Inzidenz von Darmkrebs, der in Japan früher selten war, habe sich in nur zwei Jahrzehnten auf das Vierfache erhöht. Solche Beobachtungen erachtet die IARC als charakteristisch für viele gängige Krebsarten, bei denen Umwelt und Lebensstil zum Risiko beitragen. Grundsätzlich hält die IARC diese deshalb für vermeidbar.

Harte wissenschaftliche Beweise

Basierend auf aktuellen Erkenntnissen soll fast die Hälfte aller Krebserkrankungen weltweit verhindert werden können. Dies sei durch harte wissenschaftliche Beweise belegt, meinen die internationalen Krebsexperten. Als bekannte Beispiele werden Rückgänge beim Lungenkrebs durch weniger Rauchen angeführt sowie der Rückgang der Raten hepatozellulärer Karzinome bei Menschen, die gegen Hepatitis-B-Virus geimpft sind. „Die verbliebenen Wissenslücken bezüglich der Entstehung von Krebs sollten nicht einfach dem Faktor Pech zugeschrieben werden“, sagt Dr. Wild. „Die Suche nach Ursachen muss weitergehen, und wir müssen weiter in Präventionsmaßnahmen für Krebsarten investieren, deren Risikofaktoren wir kennen.“

Studie: Tomasetti C, Vogelstein B. Cancer etiology. Variation in cancer risk among tissues can be explained by the number of stem cell divisions. Science. 2015 Jan 2;347(6217):78-81. doi: 10.1126/science.1260825.


Dr. Helga Blasius