Modellprojekt zur Benzodiazepin-Abhängigkeit

Apotheker und Ärzte helfen aus der Sucht

Berlin - 19.05.2014, 16:13 Uhr


Auch wenn die Zahl der von Schlaf- und Beruhigungsmitteln abhängigen Menschen nur geschätzt werden kann – mehr als eine Million sind es auf jeden Fall. Meist handelt es sich um ältere Menschen, vielfach um Frauen. Der Ausstieg aus dieser „stillen“ Sucht auf eigene Faust gelingt nur selten. Die Auswertung eines Modellprojekts aus Baden-Württemberg und Hamburg zeigt nun: Wenn Patient, Apotheker und Arzt gemeinsam gegen die Sucht arbeiten, sind die Erfolgschancen groß.

Im Jahr 2009 fragte das Bundesgesundheitsministerium bei der ABDA an, ob sie das von Dr. Ernst Pallenbach initiierte Modellprojekt „Ambulanter Entzug Benzodiazepin-abhängiger Patienten in Zusammenarbeit von Apotheker und Hausarzt“ mitträgt. Ein sensibles Thema, aber eben auch keines für die Nische – die ABDA sah sich durchaus berufen, sich hierum zu kümmern. Auch das Ministerium selbst förderte das Projekt. Heute stellten die Beteiligten die Ergebnisse in Berlin vor. Und die können sich sehen lassen: Von den 102 teilnehmenden Patienten konnten 46 Prozent die Benzodiazepine komplett absetzen, weitere 27,5 Prozent konnten zumindest die Dosis reduzieren.

Wie Christiane Eckert-Lill, ABDA-Geschäftsführerin Pharmazie, berichtete, hatte das Projekt einen langen Vorlauf. Es galt Apotheker, Ärzte und Patienten hierfür zu motivieren – kein ganz einfaches Unterfangen. Das anfängliche Interesse bei den Apothekern war zwar groß. Aber viele fürchteten doch den Zeitaufwand – den Ärzten ging es nicht anders. Am Ende schrieben sich 179 Apotheker (aus 101 Apotheken) ein. Zudem waren 63 Ärzte mit an Bord.

Die 102 teilnehmenden Patienten waren vorwiegend weiblich (72 %) und im Durchschnitt 71 Jahre alt. Sie erhielten in etwa seit acht bis zehn Jahren regelmäßig Benzodiazepine, im Schnitt 6,1 mg. Die meisten Teilnehmer wurden über die Apotheken gewonnen (56 %), 42 Prozent motivierte der Arzt. 60 Prozent hatten zuvor noch keinen Versuch unternommen, die Arzneimittel abzusetzen. Ein knappes Drittel versuchte den Ausstieg allein. Die Wenigsten nahmen die Hilfe einer speziellen Ambulanz oder eines Psychiaters in Anspruch. Für Dr. Rüdiger Holzbach, Chefarzt der Abteilung Suchtmedizin der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt, ist dies eine der wichtigen Botschaften: Mit dem Projekt werde ein Klientel erreicht, an denen die bisherigen Angebote vorbei gingen.

Den Präsidenten der Bundesapothekerkammer (BAK), Dr. Andreas Kiefer, stimmen die Ergebnisse des Projektes optimistisch. Sie zeigten, dass Apotheker in Kooperation mit Hausärzten den Patienten den Weg aus der Abhängigkeit ebnen und so die Arzneimitteltherapiesicherheit verbessern können. „Drei von vier teilnehmenden Patienten profitieren von der berufsgruppenübergreifenden Intervention unmittelbar“, betonte Kiefer. Und das nachhaltig: Die meisten Patienten berichteten, nach drei Monaten keinen Rückfall erlitten zu haben oder es war ihnen gelungen, die Dosis noch weiter zu reduzieren.

Für Kiefer und die ABDA ist das Projekt ein Modell mit Zukunft: Ärzte und Apotheker können gemeinsam etwas für eine bessere Patientenversorgung tun, die betroffenen Patienten können ihr Leben wieder besser genießen – und die Krankenkassen sparen Geld. Denn die Nebenwirkungen von Benzodiazepinen – etwa Stürze – können teuer werden. Auch ein stationärer Entzug kommt die Kassen teuer als die ambulante Intervention von Arzt und Apotheker.

Die ABDA würde das Projekt nun gerne in die Regelversorgung übergehen lassen. Kiefer erklärte, den Krankenkassen entsprechende Verträge anbieten zu wollen. Diese müssten auch eine Honorierung vorsehen. Schließlich ist die Beratung der Patienten durchaus mit Mehraufwand verbunden – und zugleich wird bewusst auf Einnahmen aus dem Arzneimittelverkauf verzichtet. Dies müsse angemessen honoriert werden. Im finanziell geförderten Modellprojekt erhielten die Apotheker pro Patienten 150 Euro, die Ärzte 50 Euro. Ob dies eine Vorgabe für künftige Verträge sein kann, ließ Kiefer offen. Letztlich müssten Krankenkassen und Gesellschaft entscheiden, was ihnen ein Leben ohne Sucht wert ist, so der BAK-Präsident.


Kirsten Sucker-Sket


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