Zweitverblisterung

Potenzielle Gefahr für Bewohner von Alten- und Pflegeheimen

Potsdam - 04.10.2011, 17:21 Uhr


Immer wieder setzen Alten- und Pflegeheime auf die Zweitverblisterung von Arzneimitteln. Doch davor warnen jetzt die Landesapothekerkammer und die Landesärztekammer Brandenburg in einem gemeinsamen Positionspapier.

Die Zweitverblisterung bedrohe die Therapiefreiheit des Arztes. Er könne nicht mehr das beste Medikament und die optimale Darreichungsform für seinen Patienten wählen, sondern werde durch technische Vorgaben beschränkt. Verblisterungsautomaten können lediglich 200 bis 400 Medikamente verarbeiten – in Deutschland sind aber etwa 50.000 Medikamente zugelassen. Auch mit Salben oder Tropfen kommen sie nicht zurecht. Dabei sind gerade ältere Menschen besonders häufig auf flüssige Darreichungsformen angewiesen. „Die Bedürfnisse des Patienten müssen über die Therapie entscheiden, nicht die technischen Möglichkeiten einer Verpackungsmaschine“, fordert Dr. Udo Wolter, der Präsident der Landesärztekammer Brandenburg.

Doch den Heimbewohnern drohen nach Auffassung der Heilberufskammern noch weitere Nachteile. Durch den zusätzlichen Arbeitsgang der Umverpackung verzögert sich die Bereitstellung der Medikamente oft um mehrere Tage bis Wochen. Je länger der Vorlauf des Blisterunternehmens ist, desto schwieriger wird es, kurzfristig auf Veränderungen im Krankheitsbild zu reagieren. In diesen Fällen müsse das Pflegepersonal häufig die schon einmal umverpackten Medikamente erneut öffnen und neu zusammenstellen. Dadurch steige die Gefahr von Verwechslungen und Kontaminationen. Außerdem sei bisher ungeklärt, ob es durch die Mischung unterschiedlicher Präparate in einer gemeinsamen Verpackung zu unerwünschten Reaktionen zwischen den Inhaltsstoffen kommt. „Hier regiert bisher das Prinzip Hoffnung“, kritisiert der Präsident der Landesapothekerkammer Dr. Jürgen Kögel. „Die grundlegende Voraussetzung neuer Versorgungsformen muss doch sein, dass sie sicher sind und für den Patienten keine Gesundheitsrisiken bergen.“

Auch das gern geäußerte Argument, die Zweitverblisterung erleichtere die Arbeit des Pflegepersonals, hält einer Überprüfung nicht stand. So hat eine Studie der Amtsapotheker in Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit dem dortigen Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit und der Universität Bielefeld gezeigt, dass mehr als 60 Prozent der befragten Pflegerinnen und Pfleger der Zweitverblisterung kritisch gegenüberstehen. Sie befürchten vor allen Dingen einen Rückgang der Pflegequalität. Wer sich nicht mehr intensiv mit den Medikamenten beschäftige, der könne auch keinen Zusammenhang mehr zwischen den verabreichten Arzneimitteln und den Symptomen des Patienten herstellen.

Die Landesapothekerkammer und die Landesärztekammer Brandenburg fordern daher die Einhaltung klarer Regeln und Mindeststandards. Es muss sichergestellt sein, dass die Versorgungsqualität der Menschen in Alten- und Pflegeheimen nicht den ökonomischen Interessen der Unternehmen geopfert wird. „Bis dieser Beweis nicht erbracht wurde, muss Vorsicht walten. Wir sind immer offen für Verbesserungen im Sinne der Patienten, aber bei den derzeit gängigen Verfahren haben wir erhebliche Zweifel“, so Dr. Udo Wolter und Dr. Jürgen Kögel. Solange diese nicht ausgeräumt sind, lehnen beide Kammern die Zweitverblisterung für Heimbewohner entschieden ab.


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