Sotagliflozin: FDA und EMA sind uneinig

Orales Add-on bei Typ-1-Diabetes: Überwiegt der Nutzen das Risiko?

Stuttgart - 04.04.2019, 15:15 Uhr

Was, wenn Typ-1-Diabetes-Patienten ihren Blutzucker trotz optimaler Insulin-Therapie nicht in den Griff bekommen? Können orale Antidiabetika ein sinnvolles Add-on sein? (c / Foto: Creativa Images / stock.adobe.com)

Was, wenn Typ-1-Diabetes-Patienten ihren Blutzucker trotz optimaler Insulin-Therapie nicht in den Griff bekommen? Können orale Antidiabetika ein sinnvolles Add-on sein? (c / Foto: Creativa Images / stock.adobe.com)


Anfang März hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA eine Zulassungsempfehlung für den SGLT-Inhibitor Sotagliflozin ausgesprochen. Unter dem Markennamen Zynquista® soll das Gliflozin als Ergänzung zu Insulin für bestimmte Typ-1-Diabetiker eingesetzt werden. Erst vor Kurzem wurde für Dapagliflozin in Europa die Erweiterung der Zulassung auf diese Indikation empfohlen. In den USA verhält sich die FDA deutlich zögerlicher, was Gliflozine und Typ-1-Diabetes angeht. Grund dafür sind mögliche Ketoazidosen. Wie sinnvoll sind orale Antidiabetika plus Insulin bei Typ-1-Diabetes?

Wenn die EU-Kommission der Empfehlung des Humanarzneimittelausschusses (CHMP) der EMA vom 28. Februar 2019 folgt, wird es in der EU bald den ersten SGLT-Inhibitor geben, der explizit als Ergänzung zu Insulin bei Typ-1-Diabetes zugelassen wurde. Er soll dann zum Einsatz kommen, wenn der BMI ≥ 27 kg/m2 ist und trotz optimaler Insulintherapie keine adäquate glykämische Kontrolle erreicht werden konnte.
Neben einer besseren glykämischen Kontrolle sollen sich unter Sotagliflozin auch Gewicht und Blutdruck reduzieren, außerdem sollen die Glukosespiegel weniger variabel sein. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören laut EMA genitale mykotische Infektionen, Diabetische Ketoazidose (DKA) und Durchfall. Grundsätzlich klingt Sotagliflozin nach einer sinnvollen Erweiterung der Therapie-Optionen bei Typ-1-Diabetes – wäre da nicht die Ketoazidose-Gefahr. Auch die EMA ist sich dieser Gefahr bewusst und versucht sie mit Sicherheitshinweisen und entsprechenden Maßnahmen zu reduzieren. In den USA hat das DKA-Risiko hingegen dazu geführt, dass die FDA den Zulassungsantrag von Sotagliflozin (Zynquista®) im März abgelehnt hat – zuvor hatte ein Expertenrat mit acht Stimmen für und acht Stimmen gegen die Zulassung gestimmt, wie das Nachrichtenportal FiercePharma berichtete.

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Daran, ob der Nutzen einer Add-on-Therapie mit Sotagliflozin bei Typ-1-Diabetes das Risiko der Nebenwirkungen überwiegt, scheiden sich also die Geister. Doch wie sinnvoll ist eine Add-on-Therapie zu Insulin bei Typ-1-Diabetes generell? DAZ.online hat einen Blick in die aktuelle Leitlinie geworfen.

Übergewichtige Typ-1-Diabetiker

Dem Diabetesinformationsdienst München zufolge haben etwa 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland einen Diabetes, die meisten davon Typ-2-Diabetes (über 90 Prozent). Aber auch die Zahl der Typ-1-Diabetiker steigt und beträgt etwa 5 Prozent aller Diabetiker. Während das Grundprinzip der Therapie des Typ-1-Diabetes recht einfach ist – das Insulin, das dem Körper fehlt, muss ersetzt werden – sind in der Therapie des Typ-2-Diabetes in den letzten Jahren zahlreiche neue Wirkstoffe eingeführt worden. Wenn „Life-Style“-Maßnahmen und Metformin nicht ausreichen, können bei Typ-2-Diabetes Zweifachtherapien (oder sogar Dreifachtherapien) aus oralen Antidiabetika zum Einsatz kommen. Auch eine Insulin-Therapie in Kombination mit oralen Antidiabetika ist möglich und kann sogar Vorteile mit sich bringen: Der Insulin-Bedarf kann reduziert und die Gewichtszunahme sowie Hypoglykämien können verringert werden.

Laut der AWMF-Leitlinie „Therapie des Typ-1-Diabetes“ vom März 2018 liegt der Anteil erwachsener Typ-1-Diabetes-Patienten mit einem BMI > 25 heutzutage bei etwa 50 bis 60 Prozent. Gleichzeitig soll die Häufigkeit des metabolischen Syndroms bei Patienten mit Typ-1-Diabetes in den letzten Jahrzehnten vergleichbar dem Trend in der Allgemeinbevölkerung deutlich zugenommen haben. Angesichts dieser Entwicklungen erscheint es nicht allzu weit hergeholt, auch in der Therapie des Typ-1-Diabetes über Kombinationstherapien aus Insulin und oralen Antidiabetika nachzudenken. 

Metformin, GLP-1-Analoga und Gliflozine bei Typ-1-Diabetes: Was die Leitline dazu sagt

In der DAZ 50/2015 wurde über zwei klinische Studien berichtet, die Wirksamkeit und Sicherheit von Metformin und Liraglutid (GLP-1-Analogon, Glucagon-like peptide-1) als Add-on-Behandlung zur Insulintherapie untersucht haben. Und auch die AWMF-Leitlinie zu Typ-1-Diabetes setzt sich mit oralen Antidiabetika als Add-on auseinander: Metformin, GLP-1-Analoga und SGLT-2-Inhibitoren.

Der Leitlinie zufolge zeigt die zusätzliche Behandlung mit Metformin bei Typ-1-Diabetes je nach Studie unterschiedliche (positive oder keine) Effekte auf HbA1c, Gewicht und Insulinbedarf. In der Fachinformation zu Metformin liest man, dass der klinische Nutzen nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte. Und so empfiehlt die Leitlinie, dass Metformin für das alleinige Therapieziel „Verbesserung der glykämischen Kontrolle“ zusätzlich zu Insulin bei Typ-1-Diabetes nicht erfolgen sollte. Liegen aber kardiovaskuläre Risikofaktoren und Übergewicht/Adipositas vor, könne die zusätzliche Gabe erwogen werden, wobei der Zulassungsstatus von Metformin zu beachten sei. 

Nebenwirkungen unter Gliflozinen: nicht nur bei Diabetes Typ 1

Auch bei Liraglutid zeigen sich der Leitlinie zufolge in der Kombination mit Insulin positive Effekte, allerdings gibt es als Nebenwirkung auch einen dosisabhängigen Anstieg hyperglykämischer Ereignisse mit gleichzeitiger Hyperketonämie. So stieg auch das Risiko für Diabetische Ketoazidosen (DKA). „Aufgrund dieser Gefahr bleibt der klinische Nutzen von Liraglutid bei Typ-1-Diabetes trotz der positiven Effekte auf HbA1c, Gewicht und Insulinbedarf limitiert“, heißt es in der Leitlinie. Und so liest man auch in der Fachinformation: „Liraglutid sollte nicht bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 oder zur Behandlung der diabetischen Ketoazidose angewendet werden.“ 

SGLT 1 und 2: Der Unterschied

Die beiden Gliflozine Dapagliflozin und Empagliflozin sind wie Sotagliflozin SGLT-Inhibitoren (sodium-dependent glucose transporter). Allerdings hemmen sie 1000-fach selektiver SGLT2 als SGLT1.
SGLT2 wird in der Niere stark exprimiert und ist maßgeblich für die Rückresorption von Glukose aus dem glomerulären Filtrat. Die Expression in anderen Geweben fehlt oder ist dort sehr gering.
SGLT1 ist der maßgebliche Transporter für die Glukoseresorption im Darm. Sotagliflozin soll sowohl SGLT2 als auch SGLT1 hemmen. Es wirkt also auf die Glukoseresorption in Niere und Darm. 

Übrigens: Alpha-Zellen in den Langerhans’schen Inseln der Bauchspeicheldrüse exprimieren auch SGLT2-Rezeptoren. Werden diese durch Gliflozine blockiert, wird eine Hypoglykämie imitiert, was die Ausschüttung von Glukagon verstärken kann. Das kann zur Entstehung von Ketoazidosen beitragen.

Was sagt die Leitlinie nun zur Kombination von Insulin mit Gliflozinen bei Typ-1-Diabetes?

Dapagliflozin, das erste orale Add-on bei Typ-1-Diabetes: Aber nur mit Schulung!

Ob Gliflozine beziehungsweise SGLT2-Inhibitoren (Natrium-GluKose-Cotransporter 2) einen längerfristigen, klinisch relevanten Nutzen bei Typ-1-Diabetes haben, konnte mit den bis 2017 verfügbaren Daten noch nicht beantwortet werden, heißt es in der AWMF-Leitlinie zu Typ-1-Diabetes. Wegen des in drei kleineren Studien (zu Dapagliflozin und Empagliflozin) aufgefallenen erhöhten Risikos für diabetische Ketoazidosen unter SGLT-2-Inhibitoren bei Typ-1-Diabetes durften SGLT-2-Inhibitoren zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Leitlinie bei Typ-1-Diabetes nicht eingesetzt werden.

Eine Übersicht über das Potenzial neuer Wirkstoffe und Therapieregime

Therapie des Typ-2-Diabetes im Wandel

Bei Empagliflozin liest man in der Fachinformation auch, dass Sicherheit und Wirksamkeit bei Patienten mit Typ-1-Diabetes bisher nicht belegt sind. Empagliflozin solle nicht für die Behandlung von Patienten mit Typ-1-Diabetes eingesetzt werden. Als Grund wird das häufige Auftreten Diabetischer Ketoazidosen (DKA) angeführt. Der gleiche Text findet sich auch noch in der Fachinformation von Dapagliflozin. Allerdings hat Anfang Februar 2019 der Humanarzneimittelausschuss der EMA (CHMP) empfohlen, dass Dapagliflozin künftig auch bei bestimmten Patienten mit Typ-1-Diabetes als Add-on zu Insulin indiziert sein soll. Offenbar hat die EU-Kommission diese Empfehlung am 20. März in einer Zulassungserweiterung umgesetzt. So wird in der Fachinformation wohl bald zu lesen sein: „Forxiga ist bei erwachsenen Patienten indiziert zur Behandlung von unzureichend kontrolliertem Typ-1-Diabetes mellitus in Ergänzung zu Insulin bei Patienten mit einem BMI ≥ 27 kg/m2, wenn Insulin allein den Blutzucker trotz optimaler Insulintherapie nicht ausreichend kontrolliert.“ Das bedeutet nun aber nicht, dass die Gefahr der DKA hinfällig ist. 

Sicherheitshinweise beachten!

Vielmehr müssen Ärzte und Patienten viele Sicherheitshinweise beachten, wie etwa: „Patienten sollten in einer speziellen Schulung über das Risiko einer DKA informiert werden, wie Risikofaktoren, Anzeichen und Symptome einer DKA zu erkennen sind, wie und wann Ketonkörper-Spiegel zu überwachen sind und welche Maßnahmen bei erhöhten Ketonkörper-Werten zu ergreifen sind.“ In den US-amerikanischen Produktinformationen zu Dapagliflozin und Empagliflozin steht übrigens noch ausdrücklich, dass beide nicht bei Typ-1-Diabetikern zum Einsatz kommen dürfen. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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