Neodolor

Gericht setzt Homöopathie-Werbung Grenzen

München - 19.06.2017, 16:05 Uhr

Nach Ansicht der Richter darf das homöopathische Präparat Neodolor nicht als natürliches Wundermittel vermarktet werden. (Screenshot: DAZ.online)

Nach Ansicht der Richter darf das homöopathische Präparat Neodolor nicht als natürliches Wundermittel vermarktet werden. (Screenshot: DAZ.online)


Im Mai hatte das Oberlandesgericht München elf von zwölf Werbeaussagen der Pharmafirma PharmaFGP für ihr homöopathisches Schmerz-Präparat Neodolor verboten – auf eine weitere hatte das Unternehmen selbst verzichtet. Aus der Urteilsbegründung geht nun hervor, dass für Aussagen wie „Effektiv gegen Kopfschmerzen“ oder „bestens verträglich“ auch bei Homöopathika Studien vorgelegt werden müssen.

Für die Münchener Firma PharmaFGP war es eine krachende Niederlage: Im Mai hatte das Oberlandesgericht München entschieden, dass elf Werbeversprechen für das zur Schmerzbehandlung zugelassene Homöopathikum Neodolor verboten seien (Az. 29 U 335/17) – nachdem das Landgericht München I zuvor nur fünf Aussagen verboten hatte (Az. 33 O 15788/16). Wie aus der nun vorliegenden Urteilsbegründung hervorgeht, müssen auch bei Homöopathika die beanstandeten Werbeaussagen mit Studien belegt werden.

Mit den Werbetexten „bekämpft Kopfschmerzen zuverlässig“, „Wirkungsvolle Schmerzbekämpfung“ oder „Effektiv gegen Kopfschmerzen“ erweckt PharmaFGP nach Ansicht der Richter fälschlich den Eindruck, dass ein Heilungserfolg mit Sicherheit erwartet werden kann – daher seien sie irreführend. Auch wenn hiermit nicht ausdrücklich ein sicherer Erfolg versprochen werde, handele es sich um einen Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz – denn es genüge, dass die Werbeaussagen einen solchen Eindruck hervorrufen. 

Nicht erst wenn ein Hersteller wirbt, sein Produkt helfe bei allen Krankheitsformen, ist die Werbung nach Ansicht der Richter verboten – sondern auch, wenn sie unbegründet vermuten lässt, dass im Regelfall ein sicherer Erfolg erwartet werden kann. Bei Kopfschmerzen können schwere Formen die Anwendung beispielsweise von Opium erforderlich machen. Daher sieht das Gericht es als unzulässig an, dass der Hersteller damit wirbt, Neodolor wirke „effektiv gegen Kopfschmerzen“.

PharmaFGP hatte laut Urteil argumentiert, der „situationsadäquat aufmerksame Durchschnittsverbraucher“ würde lediglich eine „hinreichende Wirksamkeit“ annehmen, da ihm bekannt sei, dass auch bei zugelassenen Arzneimitteln im Einzelfall ein Behandlungserfolg nicht garantiert werden könne. Doch Verbraucher als medizinische Laien hätten nicht die notwendige Sachkenntnis seien häufig geneigt, „Werbeaussagen blind zu vertrauen“, erklären die Richter. Angesichts des medizinischen Fortschritts könnten sie es für möglich halten, dass neue Arzneimittel im Regelfall zum sicheren Erfolg führen.

Keine Studien zum „Zusammenspiel der Arzneistoffe“

Doch laut den Richtern ist dies bei Neodolor alles andere als nachgewiesen. Sie gingen auch gegen die Werbung vor, bei dem „5-fach-Wirkstoffkomplex“ handele es sich um ein „optimales Zusammenspiel der Arzneistoffe“. Dies erwecke den Eindruck, dass diese fünf Arzneistoffe „in aufwendiger Forschungsarbeit“ ausgewählt und aufbereitet worden seien. „Das behauptete optimale Zusammenspiel ergibt sich jedoch nicht aus der Zulassung von Neodolor, denn ein solches Zusammenspiel wurde im Zulassungsverfahren weder geprüft noch nachgewiesen“, heißt es im Urteil. Auch legte die Firma keine Studien vor, die dies nachwiesen.

Auch die Aussagen „bestens verträglich“, „ohne bekannte Neben- und Wechselwirkungen“ oder „Optimale Verträglichkeit dank natürlicher Wirkstoffe“ fassten die Richter als unzulässig auf. Zwar seien – wie PharmaFGP vorbrachte – vielleicht keine Neben- oder Wechselwirkungen bekannt, doch ginge schon aus der Packungsbeilage hervor, dass sich bei der Einnahme von Neodolor die vorhandenen Beschwerden vorübergehend sogar verschlimmern können – das in der Homöopathie verbreitete Konzept der „Erstverschlimmerung“. Da jedoch PharmaFGP in der Werbung „an keiner Stelle darauf hinweist, dass es sich bei Neodolor um ein homöopathisches Arzneimittel handelt, werden die situationsadäquat aufmerksamen Verbraucher mit der Möglichkeit einer Erstverschlimmerung nicht rechnen“ – und deshalb getäuscht, erklären die Richter in ihrem Urteil. Auch für derartige Aussagen zu Nebenwirkungen fordern sie wissenschaftliche klinische Studien.

Sie beanstanden auch, dass die Bewerbung den Eindruck verschaffe, Neodolor sei „natürlichen Ursprungs“. PharmaFGP weise selber darauf hin, dass 70 Prozent der Deutschen ihren Körper nicht mit „Chemie“ belasten wollten, erklären die Richter. Der technische Fertigungsprozess, den die Tabletten samt „Verdünnung“ und Verblisterung durchlaufen, widerspreche zwar noch nicht der Bezeichnung „natürlich“, da verständige Durchschnittsverbraucher auch nach Ansicht der Richter nicht annehmen, dass dies rein manuell erfolge.

Doch der verwendete Hilfsstoff Magnesiumstearat stehe im Widerspruch zur Werbung, entschied das Gericht. Zwar hatte PharmaFGP sowohl darauf hingewiesen, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) der Firma die Bezeichnung „Magnesiumstearat (Ph. Eur.) [pflanzlich]“ aufgegeben hätte – als auch, dass der Hilfsstoff pflanzlichen Ursprungs sei. Doch der Herstellungsprozess „mittels eines chemischen Verfahrens auch bei Verwendung von pflanzlichen Fetten als Ausgangsstoff“ sei nicht mehr als natürlich anzusehen, urteilten die Richter.

Aussagen wie „Es wirkt stark bei allen behandelbaren Formen von Kopfschmerzen – aber auf natürliche Art!“, die auf der Homepage zu Neodolor zu finden waren, müssten also demnächst entfernt werden – wenn PharmaFGP nicht in einem Berufungsverfahren seine Ansicht noch durchsetzen kann. Gegenüber DAZ.online hatte Firmenchef Clemens Fischer erklärt, er wolle gegen die im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Entscheidung Rechtsmittel einlegen – und die Bewerbung des Produktes zukünftig nur „wenig ändern“.

„Vielleicht hat sich das Gericht nicht optimal vorbereitet“, hatte er die Entscheidung der zweiten Instanz zu erklären versucht. Eine Gerichtssprecherin widersprach Fischer hier vehement. „Die kolportierten Vermutungen kann ich ausdrücklich nicht bestätigen“, betonte sie. „Im Übrigen enthalte ich mich jeden Kommentars zu derartigen Vermutungen.“

Urteil des Oberlandesgerichts München vom 4. Mai 2017, Az. 29 U 335/17.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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