Feuilleton

Glossay

Schokolade – ein Arzneimittel?

Die Medien sind derzeit voller Schokolade.

Schokolade macht nämlich glücklich!

Das merkten schon die alten Olmeken, Azteken und Mayas, der Alte Fritz und Napoleon.

Die Bewohner der mexikanischen Hochländer kultivierten während ihrer Hochkultur den Kakao, und die beiden europäischen Strategen (fast hätte ich Strateken geschrieben) tranken ihn anstelle von Kaffee gerne als Nachmittags-Schokolade.

Weiter berichten die Medien: Schokolade enthält Polyphenolen (Zitat! So stand es als Bildlegende in "Die Welt" vom 31. Januar 2007). Gemeint sind die Flavonoide Catechin und Epicatechin

Was ist sonst noch dran an der Schokolade? Besser gefragt, was ist sonst noch drin in der Schokolade? Als native sekundäre Naturstoffe, sozusagen von den alten Göttern geschaffen, enthält der vom Kakaobaum (Theobroma cacao) produzierte und in seinen "Bohnen" gespeicherte Rohstoff Kakao die beiden Methylxanthine Theobromin und Coffein sowie das als Ligand des Cannabinoid-Rezeptors fungierende Anandamid

An primären Naturstoffen des Kakaos ist vor allem die Kakaobutter zu nennen, die bei der Herstellung des Kakaopulvers physikalisch abgetrennt und bei der Zubereitung der zum Verzehr bestimmten Schokolade teilweise wieder zugesetzt wird. "Andropogene" Zusätze, d. h. von Männerhand, verallgemeinert von Menschenhand, hinzugefügte Stoffe sind Zucker und Milcheiweiß. Zusammen mit der Kakaobutter sind sie für die kalorische Hochwertigkeit der Schokolade verantwortlich. Doch mit den Fettmachern sollen sich andere befassen. Wir wollen uns ein wenig mit der pharmazeutischen Verwendung der Kakaobutter beschäftigen und dann vor allem mit den oben erwähnten und fett geschriebenen sekundären Naturstoffen, um die sich Dichtung und Wahrheit ranken.

Kakaobutter schmeckt gut. Das kann man an der weißen Schokolade testen, die im Wesentlichen aus Kakaobutter, Zucker und Vollmilchpulver besteht. Die bei Zimmertemperatur feste Kakaobutter ist ein blassgelbliches Fett von einem an Kakao erinnernden Geschmack. Das Schmelzen erfolgt in einem sehr engen Temperaturintervall und bewirkt somit einen angenehmen, kühlenden Effekt auf der Zunge. Ob das auch für die Verwendung der Kakaobutter als Zäpfchengrundmasse von Relevanz ist, sei dem Leser dieser Zeilen fragend anheim gestellt. Halten wir uns an die Fakten: Kakaobutter besteht zu 98% aus Triglyceriden der Ölsäure, Palmitinsäure, Stearinsäure und Linolsäure. Sie existiert in verschiedenen Kristallzuständen (Modifikationen), deren Änderung zur "Fettreifbildung" bei Kakaoerzeugnissen führen kann. Also, nicht gleich an Schimmel denken, wenn die im Kühlschrank gelagerte Schokolade einen weißen Überzug zeigt.

In der pharmazeutischen Technologie dient Kakaobutter als Grundstoff zur Herstellung von Suppositorien und Vaginalkugeln. Einige Synonyme sind: Adeps cacao, beurre de cacao, Burro di cacao, Butyrum Cacao, Cacao oleum, Cocoa butter, Kakaofett, Manteca de cacao, Manteiga de cacau, Oleum Cacao, Oleum Theobromatis, Theobroma oil.

Aber jetzt zur Sache: zur Schokolade und ihren Wirkstoffen.

Coffein , 1,3,7-Trimethylxanthin, das Hauptalkaloid des Kaffees sowie des schwarzen und grünen Tees, das diese Getränke wegen seiner zentral anregenden Wirkung so begehrenswert macht, ist im Kakao nur in sehr geringer Menge anzutreffen. Milchschokolade enthält pro 100 g etwa 0,05 mg und schwarze Bitterschokolade pro 100 g etwa 0,1 mg Coffein.

Theobromin , 3,7-Dimethylxanthin, ist das Hauptalkaloid des Kakaos und in diesem zu 1,5 bis 3 Gewichtprozent enthalten. Es wirkt diuretisch, gefäßerweiternd und anregend auf den Herzmuskel, aber viel schwächer als das isomere Theophyllin (1,3-Dimethylxanthin) und das um einen Methylierungsgrad reichere Coffein. Dem Theobromin fehlt die zentral erregende Wirkung des Coffeins. Also nichts mit "high" beim Schokolade-Trinken oder -Essen. Mit den durchschnittlich 0,3 mg Theobromin je 100 g Milchschokolade (und der doppelten Menge bei Bitterschokolade) kann man weder Bäume ausreißen noch gesundheitlichen Schaden provozieren.

Als polyphenolische Verbindungen sind im Kakao Mono-, Di- und Oligomere des (+)-Catechins und (–)-Epicatechins enthalten. Diese sekundären Naturstoffe, die auch im grünen Tee und im roten Wein anzutreffen sind, gelten als zytoprotektive Antioxidanzien, die vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arthritis, Katarakt, bestimmten Tumorarten und anderen Leiden schützen sollen. Doch müsste man Unmengen an Schokolade essen oder trinken, um die reaktiven Sauerstoffspezies kalt zu stellen, die durch oxidativen Stress die Zellen und Gefäße schädigen. Apropos Kreislauf: Einer aktuell publizierten klinischen Studie zufolge hemmt dunkle Schokolade, in geringen Mengen regelmäßig konsumiert, die Thrombozytenaggregation (siehe DAZ Nr. 4 Seite 81). Das dafür verantwortliche Wirkprinzip scheint allerdings noch nicht bekannt zu sein.

Bisher alles nicht so umwerfend! Bleibt also noch als potenzieller Wirkstoff des Kakaos das geheimnisumwitterte Anandamid (Arachidonsäure-ethanolamid). Der Name dieses Wirkstoffs ist abgeleitet von dem Sanskrit-Wort "Ananda", was so viel bedeutet wie Glückseligkeit. Tatsächlich binden Anandamid und einige andere Fettsäure-ethanolamide an den Cannabinoid-Rezeptor, mit dem auch das THC (Tetrahydrocannabinol), der psychoaktive Wirkstoff im Haschisch, interagiert.

Da Anadamid – im Gegensatz zu THC – eine körpereigene Verbindung ist, müssten die Cannabinoid-Rezeptoren eigentlich Anandamid-Rezeptoren heißen. Der Subtyp CB1 ist häufig in den Zellmembranen der Synapsen jener Hirnregionen anzutreffen, die mit der Wahrnehmung von Sinneseindrücken und deren Verarbeitung zu tun haben. Der CB1 -Rezeptor konnte 1988 charakterisiert und 1990 kloniert werden. Erst danach, 1992, wurde das zuerst aus Schweinehirn isolierte Eicosanoid Anandamid als sein endogener Ligand (Endocannabinoid) entdeckt, der allerdings auch von außen zugeführt werden kann.

Was jetzt noch interessiert, sind die quantitativen Verhältnisse. Im Kakaopulver und in verschiedene Schokoladeproben konnte Anandamid nur in Mikrogramm-Mengen gefunden werden, und solche Konzentrationen reichen selbst beim gleichzeitigen Verzehr von einigen hundert Tafeln Schokolade nicht aus, um davon "high" zu werden. Hinzu kommt, dass bei oraler Verabreichung von Anandamid maximal 5% der Dosis in die Blutbahn gelangen. Schuld daran sind Fettsäureamid-Hydrolasen im Intestinum, die die Verbindung abbauen.

Kommen wir auf das Thema zurück: Schokolade – ein Arzneimittel? Noch im 19. Jahrhundert wurde Schokolade (Pasta Theobromae) in der Apotheke als (nicht rezeptpflichtiges) Kräftigungsmittel geführt. Gibt es Belege, die heute eine Zulassung als traditionelles Arzneimittel stützen könnten? Bei den Azteken wurde der Kakao zur Bereitung von berauschenden Getränken verwendet, die den Männern vorbehalten, also für Frauen und Kinder tabu waren. Bevorzugte Konsumenten waren Priester, Krieger und Menschen, die den Göttern geopfert werden sollten. Wegen der besonderen Wertschätzung des Kakaos hat der Botaniker Linné seiner Stammpflanze den Namen Theobroma gegeben, was wörtlich übersetzt "Götterspeise" bedeutet. Zu Zeiten des Barock galt in unseren Breiten Schokolade auch als Aphrodisiakum, doch erfüllte sie nie die von ihr erwartete Wirkung – ebenso wenig wie Trüffel, Safran, Kaviar, Austern, Froschschenkel oder Potenzholz. Die Mengen an methylierten Xanthinen in der Schokolade sind so gering, dass eine pharmakologische Wirkung nicht zu erwarten ist. Sollte die Schokolade dennoch glücklich oder sogar high machen, so liegt dies am angenehmen Geschmack, dem wunderbaren Aroma und der zungenschmeichlerischen Textur.

Empfohlen werden kann die bittere, keinen oder wenig Zucker enthaltende Schokolade als Antidot bei leichtem bis mäßigem Durchfall, was aber bei "Montezumas Rache", dort wo der Kakao herkommt, kaum funktioniert. Kurioserweise gibt es immer noch eine Schokolade, die das Gegenteil eines Antidiarrhoikums bewirkt, nämlich die Darmol® Abführschokolade. Früher war in den Darmol-Täfelchen Phenolphthalein als Laxans enthalten, heute sind es die Sennoside A und B, die ihre Wirkung erst im Dickdarm entfalten. Die Schokolade dient nur als Geschmackskorrigens der Zubereitung.

Fazit: Schokolade ist kein Arzneimittel und gehört deshalb auch nicht in die Apotheke.

Notabene – oder was sonst noch wissenswert ist: In der DDR hießen die essbaren Weihnachtsmänner offiziell "Schokoladenhohlkörper".

Bücher über Schokolade werden heute zu Hunderten angeboten.

Zur Geschichte der Schokolade findet man im Internet etwa 1.200.000 Einträge. Zum Thema Schokolade allgemein sind es rund 2.000.000 Zitate, und das allein auf Deutsch!

Verständlicherweise konnte ich sie nicht alle lesen.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth

Friedrich-Naumann-Str. 33, 76187 Karlsruhe

www.h-roth-kunst.de
Schokolade oder Pasta Theobromae – ein Phytopharmakon?

Aus Wichtl (Hrsg.), Teedrogen und Phytopharmaka, 4. Aufl., Stuttgart 2002
Foto: M. Wichtl

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